(Beitragsbild: Time for Change)
Du hast viel geleistet. Du hast einen Beruf, den du liebst, der zu dir gehört. Oder der dich trägt. Jetzt stehst du auf einem Wendepunkt: Dein Beruf und deine Augen passen nicht mehr zusammen. Haken dran und was Neues? Unmöglich. Lies, was dir hilft, deine Zukunft zu begrüßen.
[Erstfassung März 2019. Überarbeitete Version vom 12 Februar 2020]
2000 starte ich mein Unternehmen KAN Consulting. 2018 ist deutlich: Es geht nicht mehr. 18 Jahre, eine lange Zeit. 18 Jahre als selbständige Trainerin, Moderatorin, Coach. Das bin ich, das ist meine Identität.
Mehrfach mache ich den Versuch, mich zu lösen, es gelingt mir nicht. Ich bin, was ich tue. Ich habe meine Überzeugungen zum Beruf gemacht. Es spricht auch noch so Vieles dafür.
Realität ist auch: Seit Jahren schon kostet mich dieser Beruf viel, zu viel. Augen zu und durch. Es ist wie es ist. Die Miete muss bezahlt werden. Ich habe eindeutig schlechte Augen, aber noch einen sehr guten Visus. Keine Unterstützung für mich, nirgends.
Die nächste Stufe
April 2017. Makuladegeneration links und weniger Gesichtsfeld rechts. Konkret heißt dies: Links ist das Sehfeld grau, ich sehe ausschließlich am Rand noch etwas. Der Visus ist in kurzer Zeit von 0,7 auf 0,08 zurückgegangen. Auch rechts ist das Gesichtsfeld weiter eingeschränkt und langsam schleichen sich fast unmerklich andere Verschlechterungen ein. Tiefen einschätzen? Fehlanzeige. Im Dunkel sehen können? Schön wäre es. Nach 2-3 Stunden Einspannung schmerzt mein linkes Auge sehr und schränkt auch mein Denken ein.
Arbeitsalltag mit Seheinschränkung
Mein Beruf erfordert, dass ich viel reise, sehr viel reise. Meine Kunden befinden sich überall in Deutschland und im Ausland. Das ist auch mit 100% Sehkraft ein Knochenjob. Die Tage sind lang, sehr lang, und unglaublich intensiv. Als Trainerin musst du alle Sinne beisammen haben, ständig. Ohne Pause. Du musst mitdenken, strukturieren, weiterdenken und gleichzeitig die Gruppe steuern. Wie viel Freude macht dies, wenn es gelingt und wie viel Kraft kostet diese Arbeit. (Hier eine Runde Wertschätzung für alle passionierten Trainer, Moderatorinnen und Lehrerinnen).
Sehen verschlechert? Mein (Dein) Problem!
Reisen war als hochgradig Kurzsichtige mit Augen von ca. -23 Dioptrien und sehr gutem Visus schon anstrengend. Nun fordert es alles von mir. Wenn ich ankomme am Zielort irgendwo in Deutschland oder der Welt habe ich einen Tag Pause nötig. Eigentlich. Auf mich warten 15-Stunden Tage (mindestens).
Jetzt verschwinden Menschen im Grau der Makula links und im zerstörten Gesichtsfeld rechts. Wahrnehmen, wie Herr Meier links reagiert? Unmöglich. Mal eben den Flipchart vorlesen? Nachts das Konzept umschreiben? Ein Kraftakt. Mein linkes Auge schmerzt und klopft nach wenigen Stunden. Zu Hause kostet es mich 2-3 Tage bis ich wieder arbeitsfähig bin. Es geht noch, irgendwie, ich bin ja kreativ und geübt. Es kostet mich sehr viel. Zu viel.
Weiter, so schlecht es geht
Ich mache weiter, so gut oder schlecht es geht. Ich gebe alles, ach was, vier mal mehr als alles, aber es reicht nicht mehr. Mit meinen Augen ist es nicht möglich, mein Unternehmen auf dem hohen professionellen Niveau weiterzuführen, das nötig ist. Und doch kämpfe ich mich weiter durch.
Immer wieder versuche ich, den Absprung zu bekommen. Ich probiere, Teilzeitarbeit zu finden, was nicht gelingt. Zu viel spricht gegen mich.
Ach ja, offiziell sehbehindert bin ich nach wie vor noch nicht. Konkret heißt dies: Es gibt keine Unterstützung – nicht für Umschulungen, nicht finanziell, nicht emotional. Nichts. Ich schlage mich weiter durch, irgendwie. Oft weiß ich kaum, wie ich durch den nächsten Monat kommen kann. Das Gesparte schmilzt langsam dahin. Nach außen hin spiele ich Business as usual. Niemand weiß etwas. Niemand merkt etwas.
Aber dies ist natürlich nicht die ganze Wahrheit.
Abschied vom alten (Berufs-) Ich
You cannot say hello, when you cannot say goodbye.
(Quelle unbekannt, gehört von Jakob van Wielink)
Das sind die Fakten. Aber, wie könnte es anders sein: Natürlich ist dies nicht die ganze Wahrheit. Während eines Workshops, der mir hilft, meine Verluste zu verarbeiten, bin ich plötzlich absolut sicher: Solange ich „einfach“ weitermache, hänge ich fest. Hänge ich fest in meiner alten Identität, bin ich Teil von Kollegennetzwerken, diskutiere ich mit über internationale Zusammenarbeit, über neue Ansätze und Methodiken. Weil ich weiter dazugehören möchte, weil es mein Leben ist. Mein Leben seit 18 Jahren. 18 Jahre Weiterbildungen, Aufbau, Identität.
Ich weiß: Wenn ich mich jetzt nicht von dieser Identität verabschiede, wird es keine neue Zukunft für mich geben. Ich hänge fest im Alten. Mein Herz hängt fest in dem, was meine Augen schon lange nicht mehr leisten können.
Schlussstrich. Ich muss einen Schlussstrich ziehen. Für meine Zukunft, auch wenn diese noch genauso neblig und undeutlich ist, wie meine Sicht. Meine Angst überwinden, wie viel Sehheldinnenmut kostet mich dies. Es gibt keinen Plan B, davon hat mein Kopf schon zu viele bedacht und mein Herz hat sie verhindert. Ende 2018 kontaktiere ich alle Netzwerkpartner und Kunden und sage Bescheid, dass ich keine Trainings und Workshops mehr durchführe.
Ja zu (m)einer Zukunft!
Ja, ich bin eine Sehheldin, denn ich habe für mich eine Wahl getroffen. Die Wahl zwischen Vergangenheit und neuen Möglichkeiten. Ich hatte die Wahl: Im Alten hängenzubleiben mit der Vergangenheit im Blick oder mich für meine Zukunft zu entscheiden. Für eine Zukunft, die meinen Seheinschränkungen Rechnung trägt. Für MEINE Zukunft.
Mein Herz ist sich ganz sicher: Es ist gut so. Es ist richtig so. Die Zukunft ist unsicher. Sie macht Angst, sehr viel Angst – einerseits. Jetzt lockt sie auch und sagt: „Liebe Anne, komm. Traue dich. Behalte Mut und Zuversicht. Dein ganzes Wissen, deine vielen Lebenserfahrungen, sie werden dich tragen. Es gibt ein neues Leben für dich. Vertraue darauf.“
Liebe Zukunft, ich bin gespannt, was du bringen wirst.
You cannot say hello, when you cannot say goodbye.
Deine Zukunft wartet, auf was wartest du?
Liebe Mit-Held*in, was weiß dein Kopf schon, was dein Herz noch nicht schafft? Für welchen Abschied benötigst du Mut und Zuversicht? Welche Vergangenheit steht deiner Zukunft im Weg?
Deine Anne, die Sehheldin
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Liebe Anne,
ein sehr bewegender Artikel. Ich denke auch, dass diese und ähnliche Veränderungen jede*r in seinem Leben durchmacht.
Was mache ich nach der Trennung? Was mache ich nach der Kündigung? Wie gehe ich mit einer Krankheit um?
Wenn wir unten sind hoffen wir alle auf bessere Zeiten und die Hoffnung darauf hilft uns durchzuhalten. Wenn die Zukunft ungewiss ist, ist das schwierig.
Nach einem Abschied ist immer auch Platz für etwas Neues. Und ich bin gespannt, was das sein wird!
Liebe Grüße,
Sonja
Hallo liebe Sonja, absolut. Als Coaches wissen wir ja um die Dynamiken von Veränderungen, Trauer, Abschied. Ich beziehe es auf Sehverlust, aber das Thema ist universell. Hier meine Sehheldin ist ja schon was Neues und wächst und gedeiht. Ich bleibe gespannt!
Liebe Anne, dein Schmerz und Kummer tun mir so leid, vind jouw ogen situatie zo naar voor je. Knap dat je die beslissing hebt genomen en ik wens jou een ‚doable‘ toekomst toe en er inspiratie voor.
Ik merk zelf dat ik steeds creatiever moet zijn om mijn werk uit te voeren en vol te houden. Heb besloten om bepaalde hoog niveau stukken niet meer uit te voeren en hoop dat er voorlopig nog voldoende ander werk mogelijk is. Dank weer voor jouw blog, liefs Wynanda
Zinnen die mij veel deden waren: „Ich bin, was ich tue“ en „Mein Herz hängt fest in dem, was meine Augen nicht mehr leisten können“…
Wie schön, dass ich dein Herz berühren konnte. Danke dir.
Wynanda, omdat ik er bewust voor heb gekozen, heb ik er nu vrede mee. Als ik het goed begrepen heb zit je nu ook op een lastige punt. Sterkte ermee.
Lieve Anne, gefeliciteerd! Luisteren naar je hart en wat knap dat je deze beslissing genomen hebt. Ik ben nog niet zover hang nog aan de dakgoot maar er gaat geen dag voorbij dat ik me niet afvraag hoelang hou ik dit vol, ik heb soms hoofdpijn , voel me misselijk, ben moe en soms kribbig,mijn lichaam praat wel maar mijn verstand is nog niet zo ver, eerst hello dan goodbye zegt mijn ego. Het maakt iets los in mijn: eerst goodbye dan hello. Dank weer voor je prachtige blog.
Sonja, van harte bedankt voor jouw reactie. Wat maakt het me gelukkig om te lezen dat het iets in je losmaakt. Ik heb deze moedige stap te danken aan de workshops begeleid door Jakob van Wielink (Klooster Huissen): Je moet eerst afscheid nemen van het verleden voordat je open staat voor de toekomst. Dit inzicht heeft me de kracht gegeven om deze moedige stap te kunnen zetten. Hello voor een (innerlijk) goodbye gaat niet werken.
Sonja, was macht es mich froh, zu lesen, dass mein Artikel einen neuen Gedanken in dir anstößt. Diesen mutigen Schritt verdanke ich den Workshops von Jakob van Wielink im Kloster Huissen (NL). Wirklich Abschied nehmen ist Voraussetzung dafür, dass etwas Neues Einzug halten kann. Hello vor (innerem) Goodbye funktioniert leider nicht.