Podcast: Sei traurig!

Seit einigen Wochen läuft durch mein rechtes „gutes“ Auge ein grauer Streifen, vielleicht ist es auch ein Fleck. Ich vermute, es handelt sich um eine weitere Ausdünnung der Netzhaut aufgrund meiner hochgradigen Kurzsichtigkeit.

Na, toll. Das ist neu. Der Kopf sagt: Ignoriere es. Hilft ja nichts. Im Magen sitzt die Angst. Mein gutes Auge, ich brauche dich! Lass mich nicht im Stich!

Machen deine Augen auch, was sie wollen?

„Jedes Mal, wenn ich frischen Mut fasse, eine strahlende Zukunft für mich beginne zu sehen, höre ich laut das hämische Lachen meiner Augen im Hintergrund.“

So steht es in meinem Augentagebuch. Vor einigen Wochen habe ich diese Worte förmlich aus mir herausgekotzt, aus dem Bauch heraus, ohne Zensur, ohne Abwägung.

Du gehst mutig und zuversichtlich deinen Weg

Kennt du dies, liebe Mit-Held*in? Wieder und wieder integrierst du die nächste Stufe, die nächste Folgeerscheinung deiner hochgradigen Kurzsichtigkeit. Mit allem Mut, aller Zuversicht und aller Kreativität die dir zur Verfügung stehen.

Du entwickelst Ideen für deine Zukunft, und willst dich nicht durch deine Augen aufhalten lassen. Du bist fest entschlossen, stark und unbeirrt deinen Weg zu gehen.

bis zum nächsten Verlust

Genauso fest entschlossen wie ich in den letzten Monaten. Nun höre ich sie wieder lachen, meine Augen. Laut und deutlich. Wieder ist etwas weniger selbstverständlich geworden.

Wir verlieren langsam unsere Sehfähigkeit. Dieser Verlust hängt über uns wie ein Damoklesschwert. Das ist keine Lappalie!

Erste Schritte zur Akzeptanz

Mir wird deutlich: Ich muss mir eine stabile innere Basis schaffen. Eine Basis, die mich trägt, wenn die Welt noch etwas streifiger oder grauer oder verzerrter wird.

Jahrzehntelang habe ich jedes Gefühl von Traurigkeit, fast jede Angst sofort im Keim erstickt. Ich habe immer weitergemacht, als ob nichts war. Jetzt funktioniert dies nicht mehr. Im September 2018 sagt mein Körper: Schluss. Extreme Stresserscheinungen. Ich beschließe: Tschüs Verdrängung, hallo Akzeptanz.

Diese 3 Dinge haben mir bisher unglaublich geholfen:

  1. 3-Tages-Workshops zur Verarbeitung von Verlusterfahrungen
  2. Ein Stille Retreat
  3. Meine wunderbare niederländische Facebookgruppe zu hochgradiger Myopie

Was hilft, das ist für dich sicher anders als für mich. Was gestern gut war, hilft morgen vielleicht nicht mehr. Eines weiß ich sicher: Diesen Weg kannst und solltest du nicht alleine gehen. Sehheld*innen wissen: Verlust kann nicht alleine verarbeitet werden, wir brauchen andere dazu.

Was ich gelernt habe (und was dir sicher auch hilft)

Liebe Seh-held*innen, seien wir mutig. Lasst uns echte Held*innen sein!

  • Wir Held*innen lächeln unsere Traurigkeit nicht weg.
  • Wir Held*innen stellen uns unseren Ängsten und reden sie nicht klein.
  • Wir Held*innen zeigen Menschen, die uns nahe stehen, dass wir Angst haben.

Nehmt euch die Zeit, die ihr nötig habt, um den erneuten Verlust zu verarbeiten. Wenn es geht und es euch hilft mit der Decke überm Kopf oder Serien schauend. Egal. Hauptsache, ihr habt kein schlechtes Gewissen dabei. Ihr wisst: Ihr tut etwas, was notwendig, klug und sinnvoll ist. Business as usual ist keine Alternative.

Trauert, kotzt euch aus, erstickt nicht an euren Gefühlen.

Hallo Zukunft

Und danach: Begrüßt euer Leben wieder! Schreibt eure Bucketlist oder lasst es sein. Vor Allem:  Schmiedet erneut Zukunftspläne. Lasst euch nicht abhalten von euren Ängsten.

Erinnert euch daran: Seit Jahren findet ihr wieder und wieder Lösungen nach jedem neuen Verlust. Das könnt ihr. Es wird auch nun wieder gelingen.

Auf uns! Seid stolz auf euch, liebe Seh-Held*innen!

(Das Bild zeigt eine dunkle Landschaft mit einer aufgehenden Sonne)

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