Peter möchte seine Karriere neu planen, andere Wege gehen. Auf keinen Fall wieder so viel Stress und nicht wieder ein Burn-Out riskieren. Er denkt über Stärken nach und Schwächen, über Visionen, über das, was er liebt, was ihn befeuert und auch welche Art von Arbeiten zu ihm passt und seiner Familie.
Er denkt an eine 4-Tage-Woche und an einen freien Tag. Zum Ausgleich, sagt er, und Luft-holen.
Ich will ja keine Spaßverderberin sein und bin es im ersten Schritt doch: „Wie fühlst du dich denn nach vier vollen Arbeitstagen, die unter Umständen noch voller sind, weil du dir den freien Tag freihalten willst?“
Er zögert und sagt: „Nein, das ist wohl zu viel. Vermutlich habe ich dann gar nichts von meinem freien Tag.“ Peter sieht traurig aus.
In einem Coaching würden wir uns natürlich auch um seine Gefühle, seine Trauer, seine Sorgen und Nöte kümmern, in diesem Artikel geht es um den rein praktischen Teil. Etwas verkürzt und vereinfacht, in Realität ist das komplexer, wie alles.
1. Startpunkt: Eine ehrliche Standortanalyse
Wir alle lügen uns da aus Versehen in die Tasche. Weil wir den Tatsachen nicht wirklich ins Gesicht sehen wollen oder einfach, weil wir es gewöhnt sind, nicht wahrzunehmen, wenn wir an uns vorbeilaufen. Deswegen beginnt jede neue Vision mit einer schonungslos ehrlichen Bestandsaufnahme. Schwarz auf Weiß.
Hier ehrlich zu sein zu dir selbst, wirklich ehrlich, ist ungeheuer schwer. Denn es werden vermutlich Tatsachen deutlich, die du lieber nicht wissen willst. Dir wird es wie Peter ergehen: „Oh ja, 4 Tage und dann einen schönen Tag mit Familie, das will ich!“. Vermutlich wirst du im Moment fühlen, dass das eine tolle Lösung ist. Ist doch weniger Arbeit, oder? Du freust dich schon richtig auf die neue Freizeit.
- Wann und wie nimmt meine gesundheitliche Situation ganz konkret Einfluss auf meinen beruflichen Alltag?
Ich empfehle hier wirklich detaillierte Aufreihungen. Denn es ist wichtig, alles vor Augen zu haben. Ehrlich, ohne Wegschummeln oder Kleinreden. - Wo gehe ich jetzt schon über meine körperlichen Grenzen hinweg? (ohne Beschönigungen, ohne „ach, die anderen haben auch Stress“)
- Welche Sorgen mache ich mir, wenn ich nicht schlafen kann?
- Habe ich noch Kraft für mein Privatleben oder stecke ich alles in meinem Beruf? (oder sogar noch mehr als Alles).
- Welche Sorgen mache ich mir bezüglich meiner gesundheitlichen Zukunft? Wie realistisch sind diese Sorgen?
Diese Standortanalyse sollte sehr detailliert sein. Anfahrtswege, einzelne Arbeitsschritte, Arbeitssituationen, die häufig vorkommen. Zukunftsprognosen, Sorgen. Alles.
Wenn wir zusammen arbeiten, frage ich nach. Kläre, mache deutlich, bohre weiter. Bis alles deutlich ist. Ohne Pflaser, rosa Farbe oder anderer Schönfärberei. Keine Angst, ich bohre sehr liebevoll und gleichzeitig hartnäckig.
2. Konkrete Auswirkungen auf die Berufsplanung
Erst mit dieser konkreten Liste vor Augen ist eine echte Vision möglich. Das kann befreiend sein und auch hart oder beides.
Da stehen dann alle Stärken auf dem Papier und Arbeitsfelder, die richtig Freude machen würden, auf die du richtig Lust hast. Dann schaust du auf die Liste und merkst: Hier gibt es einige Punkte, da könnte es knirschen, sehr sogar.
Du weißt: In dem Arbeitsfeld, auf das du richtig richtig Lust hast, musst du vielleicht viel reisen. Oder es wird gerne erwartet, dass du Überstunden machst. Oder es sind viele Stunden in Zoommeetings.
Wenn das wirklich so ist, dann geht es nicht. So viel ist deutlich.
3. Konstruktiv, out-of-the-box und flexibel
Traurig wäre es, wenn du gleich denkst: Ach nein, das geht ja sowieso nicht. Vielleicht geht es nicht. Das kann sein. Vielleicht geht es aber nicht hier, sondern dort. Vielleicht geht es nicht so, wie sich das alle erstmal vorstellen, sondern anders.
- Du schaffst keine Zoommeetings mit Kamera hintereinander. Dann kann ich vorschlagen: Ich bin dabei, aber beim zweiten ohne Kamera.
- Oder du weißt: 8 Stunden Arbeit sind dein Maximum. Ohne Ausnahme. Dann könntest du überlegen: Komme ich auch mit dem Geld von 30 Stunden zurecht? In welchem Unternehmen und welcher Unternehmenskultur ist das akzeptiert oder sogar gefördert?
- Du kannst prima Vollzeit arbeiten, aber nicht am Stück. Vielleicht lässt sich dein Unternehmen darauf ein, dass du im Homeoffice arbeitest und regelmässig Pausen nimmst?
Das klingt in deinen Ohren jetzt vermutlich naiv. Natürlich gibt es viele Unternehmen, die da nicht flexibel sind. Ich behaupte auch wirklich nicht, dass es leicht ist. Und natürlich gibt es Grade der Einschränkungen, wo du dann tatsächlich viel leichter gegen Wände anläufst. Nicht umsonst machen sich viele Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen selbstständig. Das sind leider die Realitäten.
Ich bin jedoch überzeugt: Wenn du da sehr klare Vorstellungen hast und konstruktive Vorschläge, dann ist die Chance viel größer, genau das Unternehmen zu finden, die das richtig gut finden. Wenn der Rest auch passt, natürlich.
Wenn ich Chefin in spe wäre, ich fände einen Bewerber ziemlich gut, der sagt: Hey, das kann ich alles, richtig gut sogar. Da habe ich Erfahrung xy. Und durch meine gesundheitliche Situation habe ich noch diese Soft-Skills mehr lernen müssen. Für die und die Arbeitssituation habe ich mir folgende Alternativen überlegt.
Sehheld*innen haben den Mut, ihren Wahrheiten ins Auge zu schauen und eine wirklich realistische Standortanalyse zu machen. Mit Allem, was zu ihnen gehört.
Zu einer Standortanalyse für deine neue berufliche Vision gehören alle deine Talente, Stärken, Wünsche und Vorlieben genau so dazu wie das, was dir deine Krankheit als Rahmen setzt. Und genau dieser Teil wird häufig ausgespart.
Wenn Einschränkungen so eingreifend sind, dass deutlich ist, es geht nicht mehr weiter wie bisher, dann zwingt unser Leben uns zu einer Anpassung. Ganz viel Selbst-Verantwortung und Selbst-Liebe brauchst du besonders dann, wenn du dich noch „durchschmuggeln“ kannst. Das heißt, wenn du im normalen Arbeitsmarkt noch gut deinen Job machen könntest, aber der Preis für dich sehr hoch ist. Meiner Erfahrung nach ist es für die Menschen am schwersten, die weit von einer offiziellen Behinderung entfernt sind und doch fühlbar an ihre Grenzen kommen.
Es lohnt sich!
Deine Belohnung: Durch deine Ehrlichkeit mit dir selbst, wirst du auch neue Möglichkeiten entdecken, an die du bisher vielleicht noch nie gedacht hast. Denn deine Leidenschaft, Begeisterungsfähigkeit und Wissbegierde sind ja geblieben!
Eine Standortanalyse alleine wird dich noch nicht in deine neue Zukunft führen. Auch eine schöne berufliche Vision wird vermutlich eine Vision bleiben. Die folgenden zwei Punkte gehören dazu, damit du wirklich dein Leben lebst, wie es zu dir passt – in jeder Hinsicht.
3. Lebensfragen, die Antworten brauchen
Das könnten deine Lebensfragen sein:
- Wie will ich im Leben stehen? Als welcher Mensch will ich mit dieser Herausforderung umgehen?
- Wer bin ich ohne Karriere und Beruf? (Ja, auch dann, wenn die durchaus noch möglich ist)
- Was ist mir wirklich wichtig im Leben?
- Was sind meine grundsätzlichen Werte? Kenne ich die überhaupt? Haben sie ich verändert?
- Welchen Einfluss haben meine Überzeugungen und vielleicht Glaubenssätze aus meinem alten Leben darauf, wie ich jetzt denke und plane? Sind sie hilfreich oder eher kontraproduktiv?
- Welche Einfluss haben diese Erkenntnisse auf meine weiteren Planung und Ideen?
- Was möchte ich neu für mich lernen und entwickeln, um mit beiden Beinen in meiner neuen Realität stehen zu können?
Sehheld*innen haben den Mut, sich diesen grundsätzlichen Lebensfragen zu stellen, weil sie wissen: Wenn sie nicht selbst eine Antwort darauf finden, dann werden sie zum Spielball ihres Lebens. Dann reagieren sie und agieren nicht. Dann sind sie Opfer ihrer Krankheit und nicht aktive Gestaltende.
Das hört sich anstrengend an und das kann es auch sein. Klar, es ist ein Prozess, der viel fordert. Aber wieviel Kraft und Energie fordert es, dem auszuweichen? Wie unglücklich bist du, wenn du ein Leben lebst, das nicht zu dir passt. Genau.
3. Deine Gefühle bekommen den Raum, den sie dringend brauchen
Wenn Krankheit in dein Leben eingreift, dann geht dies immer einher mit Verlusten. Kleineren, mittleren und ganz großen. Ich habe so einige Berufsberatungen und Jobcoachings erlebt, in denen meinen Gefühle überhaupt keinen Raum hatten. In denen Bedenken und Fragen weggewischt wurden. Das kann nicht funktionieren! Denn deine Gefühle werden deine Zukunft blockieren, egal, wie wunderbar deine Vision ist oder dein neuer Lebenslauf aussieht.
Worum trauerst du?
Jede Art von Verlusten ist mit Gefühlen verbunden. Immer. Mit Wut, Traurigkeit, Hilflosigkeit, Schamgefühlen. Vielleicht nennst du es nicht so, aber du trauerst. Zu Recht und ganz natürlich.
In unserer Welt sind wir es eher gewöhnt, Gefühle wegzuschieben und gleich nach einer Lösung zu suchen. Dies gilt fälschlicherweise als „positiv“. Tue dir das nicht an! Mitgefühl mit dir selbst macht dich stark. Selbstliebe macht dich stark.
Wenn du es nicht für dich selbst tust, dann helfen dir vielleicht diese zwei Argumente:
- Wenn du nicht wirklich Abschied nimmst von dem, was nicht mehr sein kann, dann bleibst du in deinem alten Leben hängen, automatisch.
- Wenn du wirklich Abschied nimmst, dann geht das einher mit Gefühlen. Die sind heilsam und öffnen dir neue Wege.
- Solange du Gefühle unterdrückst, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass sie in Form von körperlichen Symptomen zurückkommen. (Schlaflosigkeit, Magenschmerzen, Unruhe etc.)
Es ist deine Entscheidung!
Mit mir gemeinsam „ran an die Fragen“!
All dies ist alleine schwer, fast unmöglich. Denn deine blinden Flecken und Ängste versperren deine Antworten – auch die schönen und motivierenden.
Wenn du für dich deine Entscheidung für dein Leben treffen willst, wenn du Sehnsucht nach einem starken, freudvollen Leben mit deiner Krankheit hast, dann lass uns zusammenarbeiten! Ich begleite dich mit viel Lebenserfahrung, Empathie, Humor und über 20 Jahren Erfahrung als Coach. Ich stelle dir genau die Fragen, die deine Freund*innen dir nicht stellen. Sei mutig und schreibe mir gleich eine Email (Kontakt) – wir finden heraus, wie wir zusammenarbeiten können.
(Artikel völlig überarbeitet am 13-7-2022)