In diesem Artikel stelle ich dir die Ideen und Arbeit von Prof. em. Manu Keirse vor, ergänzt von eigenen Gedanken. Für mich lebensverändernd, menschlich, einzigartig. Eine Befreiung für mich in einer Welt, in der fast ausschließlich über Trauer in Verbindung mit Tod und Sterben gesprochen wird oder auf Grundlage von Phasenmodellen, in denen ich mich so nie wiedergefunden habe. Lange waren hier meine Rückschlüsse etwas zwischen „Ich trauere falsch“ oder „Ich habe keinen Grund zur Trauer, so schlimm ist es ja nicht.“
Lies ihn, den Artikel, wenn du fühlst, dass du keinen Ort hast für deine Gefühle. Dass du gar nichts fühlst. Dass du nie von Trauer sprichst. Dass du denkst: „Ach ist doch gar nicht so schlimm“ oder gar „Maria hat Grund zum trauern, ich doch nicht.“
- Living Loss: Trauer bei chronischen Krankheiten, Einschränkungen und Behinderungen
- Lies diesen Artikel gerade dann, wenn du denkst: Ich trauere doch nicht, das hat nichts mit mir zu tun
- Lies, wenn du Angehörige oder Freund*in bist
- Lies, wenn du Menschen begleitest
- Lies, wenn du Mensch bist. Warum? Das wird hoffentlich im Artikel deutlich 😉.
- Dieser Artikel widmet sich den grundlegenden Gedanken. Ich schreibe an Artikeln, die noch konkretere Ideen geben. Kommt!
- Und ja: Ich erkläre auch, warum ich die englische Bezeichnung übernommen habe von Manu Keirse.
Einleitung: Trauer bei „Living Loss“ und die SEHHELDIN
Wenn du mir schon länger folgst, erinnerst du dich vielleicht: Ich rufe seit Anfang „Sieh dich!“. Ich rufe: „Du kannst etwas für dich tun, raus aus der Ohnmacht“, ich rufe: „Es ist deine Entscheidung“. Ich rufe „Ich sehe dich, ich höre dir zu. Wirklich zu.“ Und fühle mich wie eine Ruferin in der Wüste. Ich poste etwas und die Antworten sind in etwa: „spannend, hat aber nichts mit mir zu tun.“ Regelmäßig wollte ich aufgeben, weil ich nicht begriff: Warum kommt so wenig Widerhall?
Jetzt glaube ich, habe ich die Ursachen begriffen: Was wir nicht gelernt haben, zu sehen, gibt es nicht. Was die Gesellschaft uns nicht zugesteht, gibt es nicht. Was vermeintlich „peinlich“ oder „noch nicht geschafft“ ist, wird tabuisiert oder minimalisiert dadurch es zu „normalisieren“. Wenn es sich nicht wie eine Krise anfühlt, tun wir (eher) nichts. Bleiben im Gewohnten, Vertrauten.
Diesen Artikel schreibe ich auch, weil ich so sehr hoffe, dass dieses Wissen kleine Saatkörnchen in die Wüste setzt und kleine Oasen entstehen lässt. Diesen Artikel schreibe ich, weil ich nicht aufhören will zu rufen: Siehst du dich selbst? Fühlst du die Stärke, die aus diesem Wissen entsteht? Fühlst du schon, was du für dich tun möchtest? Spendet deine kleine Oase dir schon Schatten?
Endlich gesehen. Endlich ein Traueransatz für mich.
Ich sitze vor meinem Notebook mit Tränen in den Augen. Endlich, endlich. Ja, das ist es. Genau so ist es. Ich mache nichts „falsch“, ich fühle nichts „falsch“. Im Gegenteil: Meine Gefühle sind natürlich und gesund. Danke, von Herzen danke.
2017. „Das musst du dir anhören“, hatte mir jemand empfohlen. Den Vortrag von Prof. em. Dr. Manu Keirse: Klinischer Psychologe und in Belgien und in den Niederlanden bekannter Experte für alle Themen rund um Verlust, Trauer und Begleitung in der palliativen Pflege.
Experte. Das klingt so trocken. Er ist vor allem ganz Mensch mit viel Liebe und Verständnis und mit einem ganzheitlichen Blick auf das Leben. Und er ist auf einer Mission: Auch jetzt mit über 80 spricht er über „sein“ Thema, weil er – wie ich – überzeugt ist: Traurigkeit und Trauer sind eng verbunden mit Liebe und Verbindung. Er ist überzeugt: Wenn wir alle (alle!) mehr darüber lernen, kreieren wir zusammen eine Welt geprägt und getragen von mehr Verständnis füreinander und mehr Verbundenheit untereinander.
Das alles weiß ich noch nicht damals vor dem Notebook. Noch habe ich nicht alle seine Bücher gelesen und jeden auffindbaren Vortrag gehört. Ich fühle mich tief gesehen und gleichzeitig unglaublich erleichtert: Seit Jahren höre ich Thesen zu Trauerarbeit, lese Posts und höre Podcasts und weiß: Das macht Sinn, wenn es um Trauer in Verbindung mit Tod geht. Aber ich erkenne mich darin nicht wieder. Ich erkenne Menschen um mich herum nicht wieder und Kund*innen auch nicht. Mein Herz bleibt stumm.
Endlich: Ein Ansatz für Trauer als Reaktion auf Krankheit und Behinderung
Manu Keirse sagt deutlich:
Die Trauer, die wir empfinden als Reaktion auf alle Verluste durch chronische Krankheit und Behinderung unterscheidet sich wesentlich von der Trauer, die wir erfahren nach dem Tod von uns nahe stehenden Menschen.
Noch nie und bei keinem der bekannten Trauerforschenden habe ich das so deutlich gehört. Außer ihm kenne ich keinen, der sich so intensiv damit beschäftigt – nicht nur als Nachgedanke in einem Nebensatz, sondern als eigenständiger Teil seiner Gedanken und Arbeit.
Meine Mission: Seine Ideen auch dir zugänglich machen
Manu Keirse und sein Konzept des „Levend Verlies“ (Living Loss) hat mein Leben verändert, hat mich verändert. Hat mich wachgerüttelt. Er hat mir aufgezeigt, was ich für mich tun kann. Er hat mir bestätigt, dass mein Bauchgefühl stimmte, als ich mich nicht wiedererkannte in Trauertheorien und mich falsch begleitet fühlte.
Meine Mission: Seinen Ansatz auch außerhalb der Sprachgrenzen bekannt machen
Es gibt keine offizielle deutsche Übersetzung des Begriffs „Levend Verlies“; Living Loss ist die englische, also „Lebender Verlust“. Ich spreche hier von Living Loss, weil Professor Keirse mir dies als offizielle Übersetzung bestätigt hat.
Er spricht und schreibt auf Niederländisch. Weil ich so überzeugt bin von seinen Ideen und weil ich seinen Ansatz in dieser Deutlichkeit so weder auf Deutsch noch auf Englisch finden konnte, ist es mir ein echtes Anliegen, dir seine Ideen zugänglich zu machen.
Wenn du mit mir zusammenarbeitest wirst du merken: Sein Ansatz führt mich auch in der Begleitung von Kund*innen.
Was ist „Living Loss“ (Lebender Verlust)?
Wenn du mit einer Krankheit, einer Einschränkung oder einer Behinderung lebst, wirst du täglich konfrontiert mit einer Vielfalt von Verlusten. Sie können einen kleinen oder einen enormen Einfluss auf dein tägliches Leben haben. Auf jeden Fall verändern sie deine Idee von Leben, haben Einfluss auf dein Traumleben, deine Pläne, dein Jetzt und deine Zukunft. Täglich wirst du mit diesen Grenzen und Verlusten konfrontiert. Immer wieder aufs Neue, in jeder Sekunde, in der du wach bist. Mit kleinen, mit gewohnten und mit massiven Grenzen.
Living Loss also – lebender Verlust. Die Verluste sind immer da, ohne Endpunkt. Sie gehören zu deinem Leben.
Die Traurigkeit und Trauer bei „Living Loss“ sind nicht irgendwann „weg“ oder gehen vorbei. Diese Idee bringt, wenn du sie wirklich zulässt, eine große Erleichterung mit sich. Du weißt: Dass du sie fühlst, ist gesund. Du wirst nicht drüber stehen. Das ist nicht möglich. Alleine diese Idee ist unmenschlich, das sagt auch Prof. Manu Keirse deutlich. Du lernst, mit deinen Erfahrungen und Gefühlen zu leben. Du arbeitest daran und versuchst, dich damit zu versöhnen.
Und ja, auch wenn ein geliebter Mensch verstirbt, wirst du täglich mit den Verlusten konfrontiert, die sein oder ihr Tod hinterlässt. Der Unterschied ist: Tod ist sozusagen statisch. Das Sterben ist Vergangenheit. Living Loss ist Gegenwart.
Living Loss: Trauern ist etwas, was du tust
Manu Keirse sagt: Du überlebst deine Verluste und lernst, mit ihnen zu leben. Wenn du täglich mit ihnen konfrontiert wirst ist es unmöglich, dass du sie „verarbeitest“, denn sie sind ja noch da.
„Het belangrijkste dat je moet weten over verdriet na verlies is dat het niet echt ‘overgaat’. Je leert ermee te leven. Je werkt eraan en je probeert je ermee te verzoenen -je rouwt. Rouwen is dus iets wat jij doet, niet iets wat jou wordt aangedaan.” (Manu Keirse, p. 153, Good Leven Met Kwetsbaarheid en Beperking, Dirk de Wachter, Manu Keirse, 2020)
Meine Übersetzung: “Das Wichtigste, das du über Traurigkeit nach Verlust wissen musst ist, dass es nicht wirklich „vorbeigeht“. Du lernst, damit zu leben. Du arbeitest daran und probierst dich damit zu versöhnen – du trauerst. Trauern ist etwas, was du tust, nicht etwas, was dir angetan wird.“
Manu Keirse in: Goed Leven met kwetsbaarheid en beperking (Dirk Wachter, Manu Keirse, 2020)
Lies dir diesen Satz einmal laut vor und fühle, was er mit dir tut. Spürst du die große Menschlichkeit und den Trost in dem kleinen Wörtchen „probierst“ gekoppelt mit dem wunderbaren Wort „versöhnen“? Spürst du die Kraft, die aus dem Satz entspringt, dass Trauern etwas ist, was du tust und nicht etwas, was dir angetan wird?
Living Loss: Trauerarbeit statt Ohnmacht
Trauerarbeit heißt:
- Du kommst aus der Ohnmacht und wirst wieder zur Gestalterin/ zum Gestalter deines Lebens, weil du etwas für dich tust!
- Du gibst dir die Chance aufein tiefes Gefühl von Erleichterung und positive Veränderung. Auf neuen Sinn.
(Manu Keirse spricht konkret über 4 Traueraufgaben. Diesen werde ich einen anderen Artikel widmen)
Du musst und darfst Verantwortung für dein Leben übernehmen. Das bedeutet: Raus aus der (unbewussten) Opferhaltung, rein in die Selbstverantwortung.
Anmerkung: Opferhaltung kann auch sein, dass du sagst oder vielleicht auch selbst glaubst, dass du überhaupt kein bisschen trauerst. Dass das gar nicht dein Thema ist. Klartext gesprochen: Damit gehst du Trauerarbeit aus dem Weg und gibst Selbstverantwortung ab. Vielleicht passt genau dies gerade für dich. Wichtig ist: Du weißt, wenn du etwas tust und wenn du nichts tust: Beides ist deine Entscheidung.
Living Loss: Welche Fragen stellt dein Leben dir?
In diesem Abschnitt verbinde ich die Ansätze von Manu Keirse mit einem Gedanken meiner anderen großen Inspirationsquelle: Viktor E. Frankl.
Deine Lebenssituation fordert dich auf, Wege zu finden, mit deinen Verlusten umzugehen, die ständig anwesend sind. Living Loss fordert dich auf, immer wieder aufs Neue selbst-verantwortlich Krisen, schlechten Nachrichten und Verschlechterungen zu begegnen. Zu tun für dich, was du für dich tun kannst. Zu lernen, was du lernen kannst. Nicht einfach zu „durchleben“.
„Das Leben selbst ist es, das dem Menschen Fragen stellt. Er hat nicht zu fragen, er ist vielmehr der vom Leben her Befragte, der dem Leben zu antworten – das Leben zu ver-antworten hat.“
Viktor E. Frankl
Stille und oft unerkannte Trauer
Diese Trauer ist oft still und unsichtbar. Vielleicht ist sie bei dir bis zur Unkenntlichkeit verkleidet. Du denkst: „Ich trauere nicht“, dann ist das vermutlich eine dieser Verkleidungen. Oder du erkennst nicht, dass du trauerst, weil du dich nicht in dem wiedererkennst, was du als Zeichen von Trauer abgespeichert hast. Oder du willst nicht „eine sein, die trauert“, weil du das mit Schwäche verwechselst.
Du hast eine chronische Krankheit, schon immer vielleicht? Du siehst oder hörst schlechter als andere, aber dir ist wenig anzusehen? Du bist geheilt von Krebs, aber dein Körper ist für immer geschwächt? Du hast eine Krankheit, die sich langsam verschlechtert, in kleinen unauffälligen Schritten? Willkommen in der Welt des Living Loss.
Das ist Alltag, irgendwie. Normal, irgendwie. Unsichtbar und alltäglich sind sie, deine Verluste. Alltäglich, da an allen Tagen. Für dich fühlbar, spürbar, anwesend. Für die anderen: Un-greifbar, un-sichtbar und daher un-begreiflich und – „alltäglich“.
Living Loss: Einsame Trauer
Wenn jemand stirbt oder du einen Unfall hast, dann erhältst du Anrufe, Blumen oder Karten. Es gibt ein Begräbnis, das die Zäsur markiert, ein Ritual, das dir hilft Abschied zu nehmen.
Du hast eine chronische Krankheit, die alltäglich ist? Das ist eher häufiger als nicht eine einsame Angelegenheit. Nicht, weil du keine Menschen hast, die sich für dich interessieren, sondern eben, weil es sehr wenig bis keine Gelegenheit gibt alles zu erzählen. Wirklich alles. Immer wieder. Auszusprechen, was den Alltag ausmacht und die Grenzen. Immer wieder. Ohne, zu fühlen, dass es für die andere „zu viel“ ist oder „nicht gesellig“. Dein Leben lang, weil es ja nicht vorbeigeht und auch nie „normal“ wird.
Living Loss: Aberkannte Trauer
Dir wird gar nicht erst zugestanden, dass du trauerst. Oder du gestehst dir selbst die Idee nicht zu. (du kannst dir ja auch selbst etwas aberkennen)
- Weil es so alltäglich ist.
- Weil du so ein lebensfroher Mensch bist. Weil… (siehe oben)
- Weil deine Situation und deine Gefühle nicht mit dem Wort „Trauer“ in Verbindung gebracht werden.
- Weil deine Verluste, die sich ergeben aus deinen primär-Verlusten, nur sehr selten wirklich gesehen werden.
- Weil du das „bist“, weil das dein Alltag ist.
- Weil Menschen sich es nicht vorstellen können.
- Weil Menschen lieber denken, dass alles toll läuft als dass sie immer wieder mit vermeintlich schwierigen Themen konfrontiert werden.
- Weil diese Art der Trauer kaum bekannt ist. Weil Prof. Manu Keirse, so wie viele andere, ein leiser Mensch ist, der Niederländisch spricht und publiziert und nicht auf Englisch.
- Weil das kein spannendes Untersuchungsfeld für die meisten ist.
- Weil das keine medientaugliche Geschichte ist wie „plötzlich querschnittsgelähmt und doch Weltmeister geworden“. (Das macht die Gefühle dann allerdings fast noch unsichtbarer, weil die coole Geschichte den Rest überdeckt).
Unsichtbar, oft ungehört, nicht gesehen. Nicht erkannt. Und noch viel häufiger: Aberkannt. „Du bist doch stark“. „Du hast doch ein gutes Leben.“ „Sei froh, dass du doch noch sehen (hören, laufen..) kannst.“
Die die das „Recht haben“ zu trauern, das sind die anderen. Die, denen es schlimmer geht, die, die nicht klarkommen, die, die die Krankheit selbst haben (wenn du Angehörige bist), die, die…
Komplett unsichtbar auch im System
Eine Therapie wird übernommen, wenn deine Trauer „pathologisch“ oder „kompliziert“ ist. Jede Form der anerkannten und finanzierten Unterstützung ist davon abhängig, dass es dir wirklich deutlich und sichtbar „schlecht“ geht. Dass die Einschätzung vorliegt, dass du deinen Trauerprozess nicht gut durchläufst, häufig angelehnt an Phasenmodelle. (Google mal, wenn du magst. Aus meiner Sicht: Furchtbar, was du da liest.).
Konkret heißt das für dich: Deine vermutlich eher unauffällige und stille alltägliche Trauer, um die du dich kümmern möchtest, weil du weißt, dass dich das langfristig gesund hält und lebensfroh, die wird nicht finanziert.
Das Gesundheitssystem begleitet nur „Zusammenbrüche“, die arbeitsunfähig machen.
Selbst Fachleute schätzen, so meine von Manu Keirse bestätigte Erfahrung, dich falsch ein, weil du nicht dem entsprichst, was sie unter Trauer verstehen: Du bist, wenn du und deine Krankheit sich schon lange irgendwie kennen, nicht gebrochen und noch weniger vergräbst du dich Wochen weinend im Bett. Das, was du ausstrahlst und vielleicht sogar selbst so einschätzt, wird sogar häufig verwechselt mit Stärke, mit Kämpfergeist und, noch schlimmer, mit „toll akzeptiert haben“. Die ewig Kämpfenden, die Lächelnden, die „hey, es geht schon, mach dir keine Sorgen“-Sagenden, die, die dir beweisen wollen, dass du dir um sie keine Sorgen machen musst, sind oft die Menschen, die unsichtbar trauern.
!Daher ist es so wichtig, dass du deine Verlust siehst und deine natürliche, gesunde Trauer erkennst, um dafür sorgen zu können, dass du tust, was dir gut tut!
Unsichtbar macht krank
Erst, wenn sich all die unsichtbaren, nicht gesehenen Gefühle viel zu lange angehäuft und sich in deinem System festgesetzt haben, macht deine Trauer sich bemerkbar. Durch Erschöpfung, unerklärliche somatische und psychosomatische Schmerzen, Depression, Symptomen, die einem Burn-Out gleichen.
Diese Symptome werden mit großer Wahrscheinlichkeit nie in Zusammenhang gebracht von dir und vom Gesundheitssystem mit ihrem Ursprung, denn du machst das doch alles prima. Du bist doch eine Kämpfernatur, du bist doch dieser tolle, starke Mensch, der immer für alles eine Lösung findet. (und ab und zu mal ein wenig „klagt“ über die Situation)
Ich habe erst dann die für mich passenden Begleitungen und Weiterbildungen finden können, als ich a) dies selbst verstanden hatte und b) für mich mit Argumenten kämpfen konnte.
5 zentrale Punkte und weiterführende Gedanken für dich zum Living-Loss-Ansatz (Manu Keirse)
- Living Loss: Es gibt keinen Endpunkt. Kein „Vorbeigehen“, kein „damit Abschließen“, weil du täglich mit deinen Verlusten lebst, an deine Grenzen stößt oder daran erinnert wirst.
- Trauer ist die andere Seite von Verbindung und Liebe. Ihre Anwesenheit ist gesund, ihre (völlige) Abwesenheit ist vermutlich (unbewusste) Verdrängung.
- Trauer bei Living Loss hat nichts mit „völlig am Boden zerstört“ zu tun. Sie kann sich sehr still und alltäglich anfühlen. Sie kann mal kaum spürbar und mal sehr präsent sein.
- Living Loss ist dann, wenn es (schon) Alltag ist. Das heißt nicht, wenn du zum Beispiel plötzlich blind wirst oder durch eine schwere Krankheit plötzlich in ein anderes Leben katapultiert wirst. Das ist dann eher traumatisch.
- Dieses Wissen empowered: Das Gegenteil von Ohn-Macht. Du bist nicht Opfer. Trauern ist nichts, was dir passiert, was peinlich ist oder gar ungenügend. Trauerarbeit ist TUN, etwas, was du tun kannst. (oder lassen, es ist deine Entscheidung) Du kannst lernen, was dir hilft. Du kannst auf die Suche danach gehen und Schritte setzen.
Diese Ideen wirklich gelebt: Sie können so unglaublich Vieles verändern. Für dich und für andere. Davon bin ich überzeugt. Sieh dich! Entscheide dich für dich und dein Leben! werde ich weiterhin nicht müde zu rufen.
Du willst Schritte setzen und weißt nicht wie? Du willst dich endlich sehen und weißt, das ist alleine nicht möglich? Du willst, dass du den Raum hast, um alles zu erzählen? Dann melde dich bei mir. Ich bin deine Begleiterin, die dich sieht, ohne Urteil. Die dir zuhört, ohne Urteil. Die dir den sicheren Raum schafft, der nötig ist für diese Schritte.
Melde dich bei mir und wir finden in einem Gespräch heraus, ob ich die Richtige für dich bin in deiner Lebenssituation. Sei sicher, dass ich genau weiß, wo meine fachlichen Grenzen sind.
Schreibe an: hallo@sehheldin.eu und wir vereinbaren ein Telefonat. Sei mutig!
(Unabhängige Empfehlungen)
Literatur: Dirk de Wachter, Manu Keirse, Goed Leven met Kwetsbaarheid en beperking, 2020
Literatur: Manu Keirse, Helpen bij verlies en verdriet, 2017
YouTube (u.a.). Webinar Leven met Levend Verlies, QKoortsSupport,
Liebe Anne, soeben finde ich deinen Blog und bin sehr berührt. Auch durch die Antworten, die du jedem Kommentar hinzufügst. Es ist wunderbar, dass du diese Gedanken in den deutschsprachigen Raum bringst, sie sind „Augen- und Herzöffnend“. Wenn wir wüssten, dass jeder Mensch, dem wir über den Weg laufen, mit großer Wahrscheinlichkeit „living loss“ erfahren hat oder gerade erfährt (ohne es selber so fassen zu können), wie weit könnte unser Herz werden? Stärkend und ermutigend sind deine Worte, vielen Dank.
Von Herzen danke für deine Worte, Mara. Oh ja, wie weit könnte unser Herz werden. Oder vielleicht wird es weit, wenn wir mutig und offen sind für neue und andere Gedanken jenseits von mancher Lehrmeinung und gesellschaftlichen Zuschreibungen? Wenn wir bereit sind, uns berühren zu lassen? Wenn wir Ermutigung auch Raum geben? Bleiben wir offen, herzlich, Anne
Wow, wie berührend du schreiben kannst, liebe Anne! Und zum Glück muss ich mich jetzt nicht mehr schämen, das ich „Living Loss“ nicht kannte. Ich werde deinen Artikel erneut lesen, wenn ich ihn brauche. Hoffentlich nicht zu bald.
Ganz liebe Grüße, und wie schön, dass du so viele Menschen damit berührst!
Liebe Diana, du brauchst ihn immer, als Basiswissen! Denn es gibt ganz sicher Menschen in deiner Umgebung, die dir sehr dankbar sind, wenn du verstehst. Selbst, wenn sie noch nicht verstehen. Meistens wissen wir es nicht: Aber fast alle kennen mindestens eine Person, deren Leben zum Beispiel durch Auswirkungen von Chemo-Therapie für immer verändert ist. Danke, dass du dich berühren lässt!
Ich fühle mich gesehen!
Danke dafür Anne ❤️.
Bitte mehr davon!
Liebe Tina, das ist das schönste Kompliment. Denn genau das möchte ich: Dass du dich gesehen fühlst, um dich dann vielleicht auch selbst besser sehen zu können. Diese Art der Trauer ist Neuland für die meisten, un-gesehen, aberkannt. Wie sollen wir sie dann in uns selbst sehen können? Und durch deine Worte fühle ich mich gesehen, danke dafür! Bleibe mutig, Anne
Liebe Anne, danke, dass du dieses Wissen mit uns teilst, dass so viel Tiefe und Heilungsenergie in sich trägt. Ich werde den Beitrag sicher noch einige Mal lesen, weil so viel gute Anregungen dabei sind. Und er sehr zum Nach-denken einlädt. Und ja: Die vielen ungesehen, ungehörten, ungelebten Gefühle brauchen Raum. Sie wollen einfach da sein dürfen, gewürdigt werden, weil sie zu uns dazugehören. Und so ein schöner Gedanke, dass Trauer die andere Seite von Verbindung und Liebe ist.
Mir ging es interessanterweise auch so, dass ich spüren konnte, dass ich mich betroffen fühle. Dass etwas in mir reagiert hat, auf diese Thema. Und ich habe mich gefragt, mit welchen Verlusten ich leben muss, die immer wieder betrauert werden möchten. Bei mir ist da viel auf der Ebene des inneren Kindes, das viel Verletzungen erlebt hat. Die zwar Heilung erlebt haben. Aber noch als Narben vorhanden sind und immer wieder schmerzlich spürbar sind. Und manchmal mein Leben einschränken. Im Kontakt mit anderen Menschen, weil ich viel Sicherheit brauche, weil ich an manchen Punkten sehr verletzlich bin und und und… Mir ist durch deinen Text bewusster geworden, dass eine PTBS, ein Bindungstrauma vielleicht auch immer wieder schmerzlich spürbar ist und betrauert werden muss. Auch wenn vieles gut werden kann – trotzdem. Aber wenn die Trauer die andere Seite der Liebe und Verbundenheit ist, ist sie eine wichtige und kostbare Unterstützung. Danke dir fürs Teilen!
Liebe Alexandra, von Herzen danke für deine tiefgehenden Worte und Gedanken. Zu meinen Gedanken und natürlich auch denen von Manu Keirse. Und ja: Ich sehe das auch so. Living Loss kann sehr breit gedacht und vor Allem gefühlt werden. Es soll ja keine „Methode“ sein, sondern wirklich eher eine Haltung, eine Sichtweise, ein Lebensweg. So verstehe ich das. Eine Haltung, die uns fühlen lässt: Was will noch gefühlt werden? Und mit diesen inneren-Kind-Traumata, welch großer Schritt ist es dann, um das überhaupt fühlen zu können: Dass ich es wert bin, diese Gefühle. Dass es „groß genug“ ist. Und auch: Dass Trauer nicht das Gegenteil von Lebensfreude hier ist, sondern ein Baustein zur Lebensfreude. So mein Verständnis. Ich danke dir, dass du mich und meine Gedanken so sehr „siehst“. Deine Anne
Liebe Anne,
danke, dass du die Gedanken von Manu Keirse den deutschsprachigen Leserinnen und Lesern zugänglich machst. Ich fühle mich gesehen mit meiner Trauer um Lebensrealitäten, die nach einer Krebsdiagnose meines Lieblingsmenschen so grundlegend anders wurden und bis heute sind. Oder bei meinem Kind, das ich begleiten durfte mit all dem alltäglichen Umgang mit Behinderung und den daraus erwachsenden Einschränkungen. „Living loss“ ist für mein Erleben eine gute Beschreibung. Auch hörte ich in letzter Zeit dazu die Formulierung „aberkannte Trauer“, damit ging ich sehr in Resonanz. Am Ende geht es vor allem darum, dass wir als Gesellschaft die vielen, unterschiedlichen Facetten von Trauer sehen, sie würdigen und ihnen den Raum schenken, die sie verdienen. Und auch die Hilfestellungen frühzeitig anbieten, die nötig sind. Da habe ich mich mit meinen Themen alleine gelassen gefühlt.
Du schreibst, dass Manu Keirse ganz klar trennt zwischen living loss und Trauer nach Tod. Da spüre ich noch einen Widerstand in mir, den ich nachgehen werde.
Doch wichtig ist für mich, dass du dieses große Feld des „living loss“ mit deinem Artikel sichtbar machst. Dafür sage ich von Herzen danke und freue mich auf mehr von dir zu diesem Thema.
Herzensgrüße.
Angelika
Hallo Angelika, ich habe nach deinem Kommentar ein Wort geändert: Siese Trauer unterscheidet sich wesentlich (statt grundsätzlich). Beides ist Trauer und daher eine natürliche Reaktion auf Verluste, da kann es keine klare Trennung geben. Eine Unterscheidung, darum geht es mir. Weißt du, an welchen Gedanken wir andocken ist letztendlich vielleicht auch gar nicht so zentral, wenn wir uns gesehen fühlen und uns unseren Gefühlen zuwenden. Und ins Tun kommen, für uns selbst. Für mich ist die aberkannte Trauer ein Teilaspekts des Konzeptes. Weil das Wort für mich persönlich eher suggeriert, dass von Außen aberkannt. Das ist sicher ein wichtiger Teil! Ein bisschen Henne und Ei. Für mich persönlich ist das „nicht gesehen“ auch etwas, was wir selbst tun im Zusammenspiel mit Außen. Nicht erkannt. Ab-erkannt (sagt die Wortklauberin) ist für mich: Wird mir wieder weggenommen. Aber wie gesagt: Die Worte sind nicht wichtig, die Facetten zu fühlen, darum geht es mir.
Der Text berührt mich auch sehr, weil er eine ganz andere Möglichkeit als die übliche „Trauerarbeit“ aufzeigt. Für mich gehört AUCH das „Altern“ dazu als Grund für latente Trauer, denn das bisherige Leben wird nach und nach eingeschränkt ….. und vom Trauernden Freude am doch noch Möglichen verlangt!
Hallo Doris, ich habe gerade länger auf deinen zweiten Kommentar geantwortet. Meist wird das Wort Trauerarbeit nicht benutzt, sondern „Verarbeitung“. Das heißt: Da steht die Idee dahinter, dass es dann irgendwann (endlich) vorbei und abgeschlossen ist. Trauerarbeit ist ein aktiver Begriff, den ich sehr mag. Weil es auch was mit Persönlichkeitsentwicklung, Möglichkeiten, Kenntnissen und „Tun“ zu tun hat. So viel schöner als Opfer zu sein. Trauer ist ein echtes Gefühl, Jammern ist Opferhaltung. Es hat mich so sehr viele Jahre gekostet, um diesen Unterschied in mir fühlen zu können. Das „Verlangen“ geht natürlich nicht. Ich kenne das auch. Mir hilft hier der Perspektivwechsel: Es ist eine Abwehrhaltung. Denn wenn Menschen das bei dir anders sehen könnten,müssten sie es auch bei sich erkennen können. Und wir blockieren vermeintlich negative Gefühle erstmal ab. Ganz natürlich – und kein bisschen hilfreich. Bleibe so offen und berührbar, liebe Doris. Anne
Der Artikel hat mich auf viele Weise berührt, da sind so viele Worte für Dinge, die früher nicht benannt waren. Manchmal standen mir die Tränen in den Augen und manchmal dachte ich: ja, das ist es. Zum Beispiel das Zitat des Herrn Franke.
Liebe Dana, das ist so schön, dass mein Artikel dir Worte geben konnte für Dinge, die nicht benannt waren. Tränen der Erleichterung und des Gesehen-Fühlens? Ja, Viktor E. Frankl ist mir auch eine große Inspiration. Gerade das Thema Selbst-Verantwortung, oft auch ein liebevoller Tritt in den Hintern. Wie gut, dass du dich berühren lässt, liebe Dana. Daraus entsteht so viel Wachstum, immer wieder. Herzlich, Anne
Ich finde Deinen Beitrag sehr gut und treffend!
Mit Hand und Fuß und ganz viel Herz.
Mir ging als „kleine Schwester“ der Trauer wegen chronischer Erkrankung/Behinderung noch die wachsende Einschränkung der Lebens-Möglichkeiten durch das Altern durch den Kopf.
Erst zwickt es an der einen Stelle, dann schwinden die Fähigkeiten an einer anderen Stelle – und das Gesundheitssystem wirft dann oft lediglich den (nicht hilfreichen!) Satz ins Gespräch „das ist nur altersbedingt“ – wenn der Mensch doch einfach nur ernstgenommen werden möchte mit der Trauer über dauerhaft verlorene Möglichkeiten.
Liebe Lydia, oh ja, da hast du absolut Recht. Das sehe ich auch so. Denn klar, altersbedingt ist einerseits sozusagen erwartungsgemäß. Und gleichzeitig bleibt die Tatsache: Es können massive Verluste sein, die so Einiges unmöglich machen, was vorher möglich war. Kleinreden durch „das ist dann halt so“, das halte ich für wirklich falsch. Es ist traurig. Punkt. Was ja nicht heißt, dass das Leben ungenießbar geworden ist. Das wird sehr häufig verwechselt, ist mein Eindruck. Danke für diese wertvolle Sicht. Ja! Bleibe mutig, Anne
Vielen Dank für den bewegenden Artikel, liebe Anne.
Ich habe ihn mehrmals gelesen, weil ich Trauer so noch nie gesehen habe. Ich hatte vorher auch noch nie von Prof. Keirse gehört. Von Herrn Frankl habe ich selbst einiges gelesen und ich mag ihn sehr!
Ganz viel finde ich in dem Text für mich wieder. Ich bin auch eine, bei der’s nach außen rund läuft. Ich empfinde das auch so. Das ist auch gut!
Und trotzdem ist auch dieses Gefühl oft da, wenn ich in mich horche. Diese Traurigkeit über Grenzen an Möglichkeiten, nicht gelebte Erfahrungen, über Einschränkungen etc. Die Trauer übers nicht oder falsch Verstanden werden. Sogar, wie du auch schreibst, von Fachleuten…
Aus etlichen Erfahrungen weiß ich, daß es sehr beglückend sein kann, mich zu sehen. Selbst etwas zu tun.
Und ich glaube, daß mein Leben „reicher“ wird, wenn ich mich mehr mit dieser Trauer beschäftige. Das will ich gerne versuchen…
Ich freu mich schon auf die Fortsetzung. Danke, Anne!
Danke liebe Lydie für deine offenen Worte! Und schön, dass du es auch so siehst: Es ist kein Gegensatzpaar. Living Loss ist eben nicht das Gegenteil von Lebensfreude und gelungenem Leben. Was ich glaube: Wenn wir uns aktiv uns diesem Erleben zuwenden, kann noch mehr Lebensfreude entstehen. Weil wir uns vollständig sehen und nicht nur einen Teil von uns. Du bist doch schon dabei, liebe Lydie. Herzlich, Anne
Ich habe mich auch sehr „betroffen“ gefühlt durch Annes Text!
Für mich ist nämlich auch das Thema „Altern“ mit Trauer verbunden. Man solle mit Freude das genießen, was (noch) geht, ist keine Hilfe!
Die Herausforderung bleibt bis zum Schluss, anzunehmen, was nicht zu ändern ist! Damit ist die Trauer aber nicht weg……..
Liebe Doris, das ist so ein zentraler Punkt. Trauer und Lebensglück werden oft als Gegensatzpaar verstanden. Ich glaube fest: Sie bedingen sich gegenseitig. Wie soll Lebensfreude entstehen, wenn die Gefühle im System hängen bleiben, ungesehen und doch da? Been there, done that. Jahrzehntelang. Wir können genießen und sollten unseren Blick AUCH darauf richten, unbedingt. Aber es ist an uns, wann wir das tun und in welcher Form. Aus dem Mund von Anderen ist es eine Totschlagphrase, meist geboren aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit. Auch der eigenen, wenn wir es uns selbst sagen. Ja, das Leben fordert dich mit dieser Frage, die es dir stellt. Schön, dass du dich siehst. Die Frage, die sich da anschließt ist: Was antwortest du dem Leben? Was tust du für dich? Was lernst du neu für dich?
Mir ist es tatsächlich so ergangen wie von Dir beschrieben: „Interessant, aber ich bin nicht betroffen.“
Beim weiteren Lesen spürte ich, ich BIN betroffen. Habe den Artikel jetzt noch einmal gelesen. Danke für Deine Perspektiven.
Liebe Bärbel, ich freue mich sehr. Natürlich nicht, dass du betroffen bist. Darüber, dass ich ein Saatkorn setzen konnte, etwas öffnen konnte. Wie fühlt sich dieses Erkennen an? Bleibe mutig, Anne