[Dieser Blogpost wurde am 31-08-2021 vollständig überarbeitet. Die Kommentare passen daher teilweise nicht mehr.]

 

„Hast du das mit deinen Augen immer noch nicht akzeptiert?“. Das fragt mich vor einigen Jahren eine Freundin in hartem Ton als ich ihr erzähle, wie geschockt ich bin, dass meine Augen sich schon wieder verschlechtert haben. Sie urteilt weiter: „Du hast doch schon immer irgendwie schlechte Augen. Das ist doch nicht wirklich etwas Neues.“

Ich bin verletzt und wütend und beende das Gespräch schnell. Innerlich tobe ich. „Wie kann sie nur? Was heißt hier „immer noch nicht akzeptiert“? Es geht um meine Sicht. Dass ich schon immer schlechte Augen habe, heißt doch nicht, dass das nichts mehr macht mit mir und meinem Leben? Noch weniger habe ich mich daran gewöhnt, dass sie langsam immer schlechter werden. Wie wenig empathisch kann man sein?“

Nach einer Weile stellen sich Zweifel ein: Hat sie vielleicht Recht? Mache ich etwas nicht richtig? Kann ich etwas verändern für mich?

Jetzt möchte ich es wissen: Was verstehen Expert*innen unter Akzeptanz? Was bedeutet es, zu akzeptieren?

Ich beginne zu recherchieren.

Was bedeutet „akzeptieren“?

Hier ist die Definition von Wikipedia: „Akzeptanz (von lat. „accipere“ für gutheißen, annehmen, billigen) ist eine Substantivierung des Verbs akzeptieren, welches verstanden wird als annehmen, anerkennen, einwilligen, hinnehmen, billigen, mit jemandem oder etwas einverstanden sein.“

Hinnehmen, billigen, mit etwas einverstanden sein? Nein, also ehrlich nicht. Ich bin eindeutig nicht damit einverstanden, dass meine Augen immer mehr in Teilzeit gehen als Folge meiner hochgradigen Kurzsichtigkeit. Ich heiße es auch nicht gut. Und was bedeutet annehmen genau?

Zu diesem Zeitpunkt bleiben meine Fragen ohne eine Antwort, mit der ich etwas anfangen kann.

Erst während eines Workshops, in dem es zentral darum geht, sich den eigenen Verlusten zuzuwenden, höre ich eine Definition, die mir eine ungeheure Last von der Schulter nimmt.

Hier kommt sie für dich:

Akzeptieren heißt, das, was ist, als Realität anzuerkennen. Sich nicht mehr dagegen aufzulehnen, den Widerstand aufgeben. Es ist, wie es ist. Das ist die Realität. Das ist meine Realität. Das, was war, ist nicht mehr und kommt auch nicht mehr zurück.

(nach Jakob van Wielink während eines Workshops, meine Übersetzung)

Fühlst du den Unterschied? Fühlst du die gleiche Erleichterung wie ich? Da steht nichts von einwilligen oder gutheißen. Was da steht ist: Akzeptieren, dass das Vergangene nicht mehr zurück kommt. Konkret: Ich erkenne als meine Realität an, dass meine Augen immer schlechter werden. Ich erkenne als meine Realität an, dass ich meine Tage anders einteile. Ich erkenne als meine Realität an, dass Vieles nicht mehr so möglich ist wie früher.

Diese Definition sagt: Lerne, dich nicht mehr dagegen aufzulehnen, dass dies nun deine Realität ist. Tue nicht so, als wäre es anders.


Diese Definition sagt: Nehme Abschied

Diese Definition sagt: Wenn du diese Realität für dich annehmen willst, dann nehme Abschied von deinem Leben, so wie es war. Würdige es und trauere um alles, was du verloren hast. Habe den Mut, deinen Verlusten zu begegnen.

Vielleicht verlierst du immer mehr an Sehvermögen, vielleicht nimmt eine andere Krankheit dir Liebgewonnenes oder zwingt dich, ein neues Leben für dich zu entdecken. Wie sollst du da gelassen sein? Gelassenheit und Verlust, das passt nicht zusammen.

Warum ich das Wort „akzeptieren“ ungern benutze

Ich schließe mich der Sicht an, dass wir dann nach Vorne schauen können, wenn wir annehmen können, dass unser altes Leben so nicht mehr zurückkommt.

Aber ich gebrauche das Wort Akzeptanz nicht gerne. Zu sehr kann dies missverstanden werden als „einen Haken an deine Trauer machen.“ Trauer hört nicht auf, schon gar nicht, wenn du jeden Morgen aufwachst und deutlich merkst, dass etwas anders ist als früher. Der Verlust bleibt und Verlust ist verbunden mit Gefühlen.

Wie unmenschlich wäre es, von dir selbst zu erwarten, dass du nie mehr traurig bist, nie mehr frustriert, auch mal verzweifelt oder wütend. Wunderbarerweise bist du ein Mensch mit allen Gefühlen, deren wir fähig sind.

Es geht um dein Leben. Jetzt

Was dir und mir nicht hilft ist, sich immer wieder das Alte zurückzuwünschen. Im Alten, Verlorenen hängenzubleiben, nur nach hinten zu schauen und die eigene schöne Zukunft nicht mehr sehen zu können. Und glaube mir, liebe Mit-Sehheld*in, ich sage das nicht einfach so dahin. Ich weiß, wie schwer das sein kann und wie viel Sehheldin- Mut und Zuversicht nötig sind. Immer wieder.

Ja, ich will.

Als ich diese Definition hörte, veränderte sich etwas grundsätzlich in mir. Ja, ich will, dachte ich, ja, ich will ans Steuer meines Lebens zurück. Ich will alles tun, was in meiner Macht steht, um lebensmutig und lebensfroh jetzt zu leben. Immer wieder aufs Neue.

Schild mit Aufschrift Time to Travel / Zeit zu Reisen
(Ein Schild am Strand mit der Aufschrift: Time to travel)

Es ist deine Reise und deine Verantwortung

Ist das leicht? Nein, ganz bestimmt nicht und es passiert auch nicht „einfach so“.

Es ist eine Reise, eine Reise, die wir bewusst antreten. Eine Reise, für die wir offen sein müssen. Eine Reise, die kein Ende hat, weil wir nicht wieder gesund werden. Meine Sicht wird nicht besser, im Gegenteil: In regelmäßigen Abständen fordern mich meine Augen wieder auf, einen neuen Zustand als meine neue Realität anzuerkennen. Mit allen praktischen Konsequenzen, die daran hängen. (Das kann eine andere Form der Arbeit sein oder auch „nur“ schon wieder ein anderes Licht oder einen anderen Monitor.)

Es ist eine Reise, die manchmal knallhart ist und manchmal überraschend einfach.

Leben heißt: Fühlen

Seit ich mich auf dieser Reise befinde, fühle ich mich so stark wie noch nie zuvor. Auch dann, wenn ich traurig bin oder gerade nicht mehr weiter weiß.

Denn ich weiß: Ich will leben. Dies kann ich nur, wenn ich meine immer neue Realität immer wieder aufs Neue lerne zu akzeptieren. Dies kann ich nur, wenn ich bereit bin, meinen Gefühlen zu begegnen und sie anzunehmen und mich nicht mehr gegen sie zu verschließen.

Denn: Wenn du dich mit aller Macht gegen vermeintlich negative Gefühle wie Traurigkeit, Wut oder Schmerz wehrst, dann bleibt dein Herz auch unzugänglich für unbändige Freude und Lebenslust. Also, ich will das nicht und du?

Warum mich eine solche „Anklage“ heute weniger trifft

Heute kann ich mich einer solchen Anklage anders umgehen. Ich finde sie noch immer nicht besonders empathisch. Sie kann mich auch treffen.

Der Unterschied zu früher ist:

Ich weiß, dass es vermutlich nicht böse gemeint ist. So viele Menschen sind einfach hilflos und wissen so wenig darüber, was Verluste und Trauer in einem Leben verändern. Genauso wenig wissen sie, wie sie so reagieren können, dass sie Brücken bauen. Es ist nicht als Angriff gemeint, es kommt nur so bei mir an.

Ich weiß, dass ich meinen Teil der Verantwortung angenommen habe. Dass ich sehr viel tue, um meine Realität als meine Realität zu sehen und zu akzeptieren. Mit allen Gefühlen, die natürlicherweise dazu gehören. Ich bin mit mir im Reinen.

Ich kann an meinem fortschreitenden Sehverlust nichts ändern. Aber ich habe es in der Hand, wie ich damit umgehe. Und wirklich: Noch nie habe ich mich so stark wie heute gefühlt.

Was hilft dir, für dich anzunehmen, dass dein altes Leben so nicht mehr besteht? Was hilft dir, in deiner neuen Wirklichkeit anzukommen und zu LEBEN?


Diese Reise ist alleine schwer, für mich persönlich sogar unmöglich. Ich begleite dich gerne. Es wird dadurch nicht einfach, aber es wird sich leichter anfühlen. Ausserdem helfe ich dir, die Dinge zu sehen, die du alleine nicht sehen kannst.

Du willst diese Reise mit mir gemeinsam antreten?

Du willst mich erst noch besser kennenlernen? Das verstehe ich. Zusammenarbeit ist Vertrauenssache. Abonniere dann gleich meinen Newsletter für mutmachende Inspirationen

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