Liebe Eltern, dieser Artikel ist für euch! Liebe Übungsleiter*innen, dieser Artikel ist für euch! Liebe Sportlehrer*innen, dieser Artikel ist für euch! Liebe kurzsichtige Jugendliche, dieser Artikel ist für euch!
Hochgradige Kurzsichtigkeit und Sport ist ein Thema, das unbedingt Aufmerksamkeit braucht. Heute mehr denn je, weil es immer mehr Kinder und Jugendliche mit Brille gibt. Ich schreibe über meine Erfahrungen im Schwimmverein. Diese kannst du einfach übertragen auf Sportunterricht. Schwimmen wollte ich unbedingt, Sport war eine Tortur, aus den Gründen, die ich beschreibe.
Ich will schwimmen!
Ich bin 13 Jahre alt. Ich will schwimmen, nicht im Badesee, sondern so richtig, im Schwimmverein. Im Wasser fühle ich mich wohl, das ist mein Element.
Vermutlich habe ich um die – 14 Dioptrien. (Wir haben keine Aufzeichnungen, es können also auch mehr sein.)
Kinderfotos beweisen es: Anne im Badesee mit Brille auf und mit einer dieser unglaublichen Bademützen aus den 70ern, so mit Plastikblümchen und Noppen. Ich führe stolz (und prustend) meine Brustschwimmkenntnisse vor, ich bin die Schwimmerin der Familie. Das ist ausgemachte Sache. Ich schwimme mit Kopf und Brille über dem Wasser, so habe ich dies gelernt.
Fehlende Information verhindert Erfolgsgeschichte
Erzähle ich hier eine Erfolgsgeschichte? Nein, nicht wirklich.
Hätte es eine werden können? Ja, ganz sicher!
Mit mehr Wissen auf allen Seiten, mehr Flexibilität in der Didaktik und mehr Verständnis. Da bin ich mir sicher, 100%.
(Erzähle ich eine Geschichte von Durchhalten, von Aushalten, von Durchkämpfen? Ja. Absolut.)
Was hat gefehlt zur Erfolgsgeschichte? Eine Spurensuche
(1) Nur ein bisschen kurzsichtig? Nein!
Dioptriesimulator
Für die, die es sich nicht vorstellen können: Der Dioptriesimulator gibt eine Ahnung vom Sehen mit – 9,75 (höher ist er nicht einstellbar) und Astigmatismus.
Haben wir jemals vor meinem Eintritt in den Schwimmverein darüber nachgedacht, dass dann die Ära „Kopf-über-Wasser“ und auch die Ära Schwimmen-mit-Brille vorbei ist? Nein, ich denke nicht. Es gab keine vorbereitenden Gespräche mit Schwimmlehrern, keine Überlegungen, wie das praktisch aussehen kann. Nichts.
Unfassbar für mich aus heutiger Sicht. Völlig normal damals für uns.
Es ist einfach kein Thema. Das Kind hat eine Brille. Keine Krankheit, keine Behinderung, einfach eine Brille. Das Kind will schwimmen, prima. Meine Brille ist Normalzustand. (Dieser Artikel beschreibt den Informationsnotstand zu hochgradiger Kurzsichtigkeit)
(2) Pubertät: Suche nach Identität
Mit 13 bist du auf der Suche nach deiner Identität. Du bist unsicher, nicht mehr Kind und noch lange nicht erwachsen. Es ist ungeheuer wichtig, dazuzugehören und von anderen im gleichen Alter anerkannt zu sein.
Ein Verein ist nicht einfach der Platz, an dem du Schwimmen lernst, er ist so viel mehr. Verein ist auch Gruppe, Dazugehören, sich beweisen, sich selbst kennenlernen.
Natürlich kann ich mich nicht mehr genau erinnern, was ich damals fühlte, es ist lange her. Ich habe kein Tagebuch geschrieben. Trotzdem haben sich einige Bilder tief eingegraben. Es ist egal, wie wahrheitsgetreu, denn die Psyche geht ihre eigenen Wege.
Donnerstagabend im Schwimmverein
Das Schwimmbad wird einmal in der Woche vollständig vom Schwimmverein belegt. Kinder und Jugendliche aller Altersklassen wuseln durcheinander. Wir sind nach Alter und Können in Gruppen aufgeteilt, eine Bahn gehört einer Gruppe.
Hürde 1: Vorbereitung
Alle lassen ihre Brille im Schrank, ich muss sie aufbehalten, um mich im Schwimmbad zurecht zu finden. Uncool und peinlich. Ich bin 13, ich stehe nicht über den Dingen.
Unpraktisch ist es auch. Es fängt schon beim Duschen an: Wohin mit der Brille? Es gibt keine Ablage. Alles muss schnell gehen, es ist ja kein Freibadausflug. Ich stopfe die Brille in meine Tasche während des Duschens. Dann wieder aufsetzen. Aus den Haaren tropft Wasser. Die Wassertropfen auf der Brille lassen den langen Weg zu „meiner“ Bahn noch länger erscheinen, denn richtig sehen kann ich ihn nicht. Ich hoffe, dass noch ein Mädchen langsamer läuft, dann fällt es nicht so auf.
Hürde 2: Learning-by-Seeing
Wir versammeln uns am Beckenrand. Der Schwimmlehrer macht etwas mit den Armen vor. Ich will mich nicht nach vorne drängeln, um besser zu sehen. Meist meckert dann jemand, weil ich so groß bin. Noch mehr auffallen? Nein, ganz bestimmt nicht. Dann sehe ich eben das, was ich sehe.
Ab und zu wische ich mit den Fingern über meine Brille, um so klar wie möglich gucken zu können. Dann die Brille absetzen und irgendwo verstauen. Auch das ist normal und gleichzeitig peinlich.
Ich bin die einzige, keine Jugendliche trägt Brille im Schwimmbad, ich kann mich jedenfalls an keine erinnern.
Hürde 3: Startblock
Es geht zum Startblock. Chlorbrille auf, damit sehe ich über Wasser noch weniger als ohne.
Info: Chlorbrillen mit Sehstärke
Heute gibt es Schwimmbrillen mit Sehstärke. Allerdings nur bis – 8,0 Dioptrien, wenn ich richtig gegoogelt habe.
Ich bin im Sport kein mutiges Kind. Vielleicht bin ich auch einfach nur ein äußerst normales Kind. Ich bin groß, früh gewachsen. Wenn ich auf dem Startblock stehe mit meiner Chlorbrille sehe ich verschwommen Wasser unter mir, geradeaus sehe ich mehr oder weniger nichts, verschwommene Gestalten, das Schwimmbad eine undeutliche Masse.
Das ist doch egal, denkst du? Vielleicht, wenn du jemand bist, der sich mal einfach so ins Nichts stürzt. So ein Kind bin ich nicht. Ich bin keine Kinderpsychologin, aber ich vermute, so ein Kind sind die meisten nicht.
Es stimmt: Nicht jedes Kind traut sich diesen Kopfsprung ins Wasser. In meiner Gruppe und im ganzen Schwimmbad trauen sich alle. Ich nicht, unvorstellbar mich kopfüber ins Nichts fallen zu lassen.
Also eben nicht vom Startblock springen, sondern als Einzige vom Rand ins Wasser plumpsen und dann losschwimmen.
Als einzige! In einem Alter, in dem ich dazugehören möchte, mich beweisen möchte. Zu einem Zeitpunkt, an dem ich richtig gut schwimmen lernen möchte. Plumpsen, vom Rand aus. Kein guter Start.
Hürde 4: Methodik
Der Schwimmlehrer läuft am Rand mit. Er ruft und zeigt etwas mit seinen Armen an. Ich sehe über Wasser genau – nichts. Oder jedenfalls nicht genug, um damit etwas anfangen zu können. Ich tue das, was ich mir so zusammenreime. Das bin ich ja gewohnt, das mache ich täglich.
Hürde 5: Fehlender Fortschritt
Ich habe Lust, ich will lernen – und hänge doch hinter den anderen hintenan. Sie gehen zur nächsthöheren Gruppe, ich bleibe. Weil ich meine Technik nicht wirklich verbessere und weil ich sowieso keine Wettkämpfe schwimmen könnte ohne Startsprung.
Normal heißt nicht egal!
Vor gar nicht langem ist mir bewusst geworden: Noch heute zucke ich zusammen, wenn jemand sagt, dass ich gut schwimme. Ja, ich schwimme gut im Vergleich mit Leuten, die nie schwimmen. Ja, ich schwimme gut, im Vergleich mit der Frau neben mir, die eher paddelt. Nein, ich schwimme nicht gut für eine, die jahrelang im Schwimmverein war. Geblieben ist ein Gefühl von Versagen. Mein Selbstwert angekratzt, das eigene Selbstbild in Schieflage.
Nicht sehbehindert, also alles gut?
Ich kenne es nicht anders. Meine Brille und ich, wir sind ja eine Einheit seitdem ich 2 Jahre alt bin. Dies alles ist meine und unsere Normalität. Niemand hat mich gezwungen in den Schwimmverein zu gehen, ich wollte das gerne. Meine Eltern wollten keinen Schwimmstar aus mir machen. Ich habe nicht bewusst gelitten. Also alles gut?
Nein und nochmals nein!
Seht die Kinder! Sieh dich!
Solange wir erst dann beginnen nach- und umzudenken, wenn ein Kind offiziell behindert ist, werden so viele Kinder Freude verlieren an dem, was sie lieben. So lange werden so viele fröhliche, selbstbewusste Kinder immer mehr an sich zweifeln, immer mehr sich als eine*r fühlen, die oder der nicht dazugehört.
So lange wir in Kästchen von behindert oder nicht-behindert denken macht sich niemand Gedanken. Es finden keine Gespräche statt. Keine Didaktik wird angepasst. Nichts wird unternommen, damit ein Kind, das Lust auf Sport hat, diese Lust behalten kann. Nichts wird verändert, um dem Kind oder der Jugendlichen zu signalisieren: Du bist gut! Du machst das klasse! Du gehörst dazu!
Anne Niesen | SEHHELDIN
Keine Sichtbarkeit macht unsichtbar
Natürlich bin ich mir bewusst, dass die Welt komplex und eine Verkettung von Umständen ist. Der Schwimmverein war ein Punkt unter vielen mit Einfluss auf mein Selbstbild und meine Persönlichkeitsentwicklung.
Mir ist bewusst, dass ich hier aus subjektivem Erleben argumentiere und nicht auf Grundlage einer jahrzehntelangen Forschungsarbeit – denn die gibt es nicht.
Und doch bin ich sicher: Ich bin nicht die Einzige. So oder so ähnlich erging es vielen.
Ich bin ausserdem sicher: Die meisten erwachsenen Hochmyopen stellen keine Verknüpfung her zwischen diesen sogenannten Normalitäten eines hochmyopen Kindes und ihrem Selbstbild oder ihrem Können. Sie denken: Es ist so. So bin ich eben. Ich höre die vielen Erzählungen in meiner Facebookgruppe für Hochmyope und mein Herz blutet. Sieh dich! will ich immerzu rufen. Stell Zusammenhänge her! Bitte, bitte unternimm etwas, damit deine Kinderseele heilen kann. Für dich. Für deine Zukunft.
Tief in meine Seele gräbt sich damals ein:
- Ich bin unsportlich.
- Die anderen sind besser.
- Ich bin anders, ich gehöre nicht dazu.
- Ich bin sichtbar mit meiner Brille und unsichtbar in meinem Mut, meiner Kämpfernatur, meiner Stärke.
Es war ein langer Weg für mich, der sich so sehr gelohnt hat: Wenn ich heute an diese starke, tapfere 13jährige Anne denke, fühle ich Stolz. Dieser Stolz verlieht mir Stärke und Selbstvertrauen. Auch wenn du wie ich über 50 bist: Es lohnt sich. Wenn du noch jung bist: Es lohnt sich, dir Wege zu suchen, wie du Freude haben kannst an dem, was dir Freude macht.
Hochgradige Kurzsichtigkeit und Sport: Wie ist es heute?
Wenn ich heute an Jugendliche und Kinder denke, denen es ähnlich ergeht, möchte ich unbedingt, dass sie es anders erleben, als ich dies in meiner Jugend erlebte.
Ich frage mich: Dies waren die 70er. Ist es heute anders? Ich denke nicht und lasse mich doch so gerne eines Besseren belehren.
Wie hoch ist das Bewusstsein für mögliche Zusammenhänge bei euch, liebe Eltern?
Liebe Übungsleiter*innen und Sportlehrer*innen, welches didaktische Repertoire habt ihr? Wie vermittelt ihr uns hochgradig Kurzsichtigen Freude an Sport? Einige Ideen habe ich entwickelt in meinem Artikel: 7 Didaktikideen für den Schwimmunterricht. Was denkt ihr, liebe Sportlehrer*innen, könnte das funktionieren?
Und wie immer: Kommentiert, teilt mit Eltern, Sportlehrern, Mit-Sehheld*innen, seid dafür oder dagegen.
Eure Anne, die SEHHELDIN
Ich bin zum ersten Mal auf dieser Seite, und das ist eine wahre Entdeckung für mich. Selbst stark kurzsichtig (-15/-16 dio) – wie kann ich alle Artikel und Kommentare hier nachvollziehen! Aus den genannten Gründen habe ich mir das Schwimmen selbst erst mit 32 beigebracht. Mit 40 saß ich zum ersten Mal auf einem Fahrrad. In der Kindheit und Teenager-Alter war manchmal normales Laufen auf der Straße herausfordernd: ich bin ständig gestolpert und hatte auch mit 13-15 Jahren immer blutige Knien… Ich liebte Ballett-Unterricht und konnte keine einzige Drehung hinkriegen. Wie viele Abläufe im Alltag (Bewegungen, Begegnungen, Fertigkeiten) waren intuitiv, basiert auf einer verschwommenen Vorahnung. Hat es mich und mein Leben anders gemacht? Oh, ja.
Liebe Elena, ich freue mich, dass du dich wiedererkannt hast in meinem Artikel. Dafür schreibe ich unter Anderem: Denn wir sind fast immer unsichtbar, gerade die, die einen sehr guten Visus haben. „Basierend auf einer verschwommenen Vorahnung“, diese Formulierung berührt mich. Wie viel Mut und Kreativität gehörte dazu, wie viel Trotzdem, sich nicht einschränken lassen, versuchen. Unerkannt, ungesehen, ohne extra Unterstützung, vermutlich ohne ein extra anerkennendes Wort. „Sie hat ja nur eine Brille“. Kennst du das auch so? Erinnere dich an all die Talente und Kraft und den Mut, so groß!
Ich war in keinem Schwimmverein aber ich habe Judo im Verein gemacht.
Mir wurde da immer die Brille abgenommen wegen Verletzungsgefahr.
Kann sich jeder sicher vorstellen das ich den Sport nicht lange gerne gemacht habe da ich die Anweisungen nicht gesehen habe oder auch im Kampf benachteiligt war.
Es hieß halt immer ich bin schlecht im Sport. Und ja vmtl bin ich wirklich keine Sportskanone. Aber vieles lag daran das ich einfach ängstlich war weil ich schlecht gesehen habe
Liebe Daniela, ganz bestimmt lag da Vieles dran, ich bin da sicher. Ist es nicht Ironie: Hochmyope sollen weniger lesen und dann passiert so wenig, um ihnen die Freude am Sport zu erhalten? Ich hoffe, dass zukünftig mehr miteinander nachgedacht wird. Ich glaube, es braucht Kommunikation. Einfach miteinander überlegen, wie es gehen könnte. Hast du dir die Freude zurückholen können später? Bleibe mutig, Anne
Ich hoffe das sich bei meinem myopen Sohn einiges ändert in der Schulzeit. Damals war man ja mit Brille noch ne große Ausnahme
Mir hat sich das leider eingebrannt das ich in Sport ne Niete bin und immer die letzte war die in ein Team gewählt wurde. Sport mach ich zwar inzwischen sehr gerne, aber lieber für mich alleine beim Joggen, Fitnessstudio etc
Mein Wunsch ist es das ich meinem Sohn hier mehr ermöglichen kann
Auch eine Super-Challenge: im Sommer im Freibad ohne Brille mit den Augen auf Halbmast den Weg vom Schwimmbecken zum Liegeplatz zu finden.
„Na Simone, ist dir der Tag zu hell?“
„Nein, ich habe meine Brille nicht auf.“
„Achso. Hahahaha!“
Selten so gelacht. 🙄😝
Liebe Simone, wer den Schaden hat…Ja, was den anderen als harmlosen Lachen erscheint und vielleicht wirklich witzig, ist das für ein Kind oder Teenager sicher nicht. Hast du dann auch „brav“ mitgelacht? Ich schon. Das macht es so richtig „schmachvoll“. Mir tut das im Nachhinein am meisten weh. Dauerte lange, bis ich dies nicht mehr so tat. Warst du da selbstbewusster als Teenager?
Ich kann nur sagen, der Schwimmunterricht war für meinen Sohn die reinste Tortour…. Im ersten Schwimmkurs waren ca. 25 Kinder, die immer so doll gespritzt haben, dass er mit seiner Brille immer nichts mehr sehen konnte. Anderen Schwimmkurs in einer kleinen Gruppe gebucht, das ging. Habe dann eine Schwimmbrille mit Stärke (-8 Dioptrien, obwohl er -11 hatte, aber so konnte er wenigstens ein bisschen was sehen) bei Amazon gekauft. Das ging ganz gut. Dann die Prüfung zum Seepferdchen: nee, bei der Prüfung darf er die Brille nicht aufsetzen, da hätte er ja einen Vorteil den anderen Kindern gegenüber! Ha! Witzig! Vorteil!!! Unglaublich…. Habe dann als Mutter den Aufstand geprobt und dann durfte er das Seepferdchen mit Schwimmbrille machen! Bei Bronze das gleiche Theater!!! Unfassbar…. Aber nun ist er 12, trägt Kontaktlinsen, schnorchelt und schwimmt sehr gerne! Allerdings immernoch mit Schwimmbrille, aber das ist für uns ok….
Wie schön, dass das Ganze ein Happy-End für deinen Sohn hat! Das ist so schön, zu lesen. Und wie wütend machen mich eure anderen Erfahrungen. Und wir reden hier ja nicht von den 1970ern. Habt ihr versucht, das mit den jeweiligen Übungsleiter*innen oder Lehrer*innen zu besprechen? Ich bin ja eine Freundin davon, miteinander Lösungen zu entwickeln, die passen. Miteinander. Grüße an den schnorchelnden Sohn. Anne
Liebe Anne, genauso ist es mir als Kind und Jugendliche gegangen. Schwimmen in der Schule war eine Katastrophe und sehr mit Angst besetzt. Ich konnte ohne Brille nicht sehen und meine Augen brannten, wenn ich sie beim Tauchen aufmachen sollte.
Unter Wasser zu sein, war deshalb für mich entsetzlich im wahrsten Wortsinn.
Ähnlich war es beim Turnen. Einmal habe ich mir bei einem Purzelbaum das Knie in die Brille gerammt und sie zerstört. Die Turnlehrerin hatte Mühe, die Glasscherben aus meinem Gesicht zu bekommen.
Kurzsichtigkeit bedeutete sich ständig unsicher zu fühlen.
Heute trage ich Kontaktlinsen und bin sehr dankbar für die Entwicklung weicher Kontaktlinsen.
Liebe Sylvia, Kurzsichtigkeit bedeutet, sich ständig unsicher zu fühlen. Diesen Satz habe ich mir gerade zwei Mal vorgelesen. Ich glaube ja, dass wir, die wir von früher Kindheit nichts Anderes kannten, diese Unsicherheit auch auf andere Weise spüren als Lebensgefühl. Bei mir war dies jedenfalls sehr lange so und ist es teilweise immer noch. Diese Schwammige, Neblige, was die Augen sehen ließen, das macht etwas mit einem Kind glaube ich. Ich nehme diese Anne jetzt noch rückwirkend manchmal in den Arm. Und ja: Für mich waren Kontakt-Linsen genau das..Das Bild des Mädchens, bei dem ein Purzelbaum zu Scherben im Gesicht führt, das nehme ich auch mit. Umarmst du manchmal auch das junge Mädchen? Bleib mutig und liebevoll, Anne
Es wäre so grandios, wenn Schwimmbrillen oder auch Tauchmasken mit Stärke erschwinglich wären … Ich hab Glück, ich schnorchle total gern und kann das mit Kontaktlinsen gut. Mein Mann (-6) trägt keine Kontaktlinsen, schnorchelt aber auch gern. Equipment mit Brillengläsern ist aber einfach zu teuer, wenn man nur alle paar Jahre am Mittelmeer ist und Fische gucken möchte.
Und zurück zum Schwimmunterricht, ich war mit Sportbrille im Wasser. Als Lieblingsopfer der Klasse kam es auf den Mobbinganlass nun auch nicht mehr an … Aber was hätte ich dafür gegeben, eine Schwimmbrille mit Stärke zu haben. Denn bei manchen Übungen kam ich mit der Sportbrille auch nicht weiter: Wenn man diesen Ring hochholen musste. Da sah ich doppelt nix. Ohne Schwimmbrille hab ich es einfach nicht gebracht, meine Augen unter Wasser aufzumachen. Das Chlor tat weh. War aber auch egal, mit Schwimmbrille hab ich ja auch nix gesehen …
Liebe Anne, ich bin eine Mutter eines mittlerweilen 16jährigen Jungen, der stark kurzsichtig ist. Die Schulzeit mit dem Schwimmunterricht war eine sehr schlimme Zeit für meinen Sohn. Beim Lesen Deines Artikels musste ich weinen. Die Schwimmlehrer haben absolut kein Verständnis gehabt, obwohl sie teilweise selbst Brillenträger waren. Heute meidet mein Sohn Schwimmbäder oder das Meer. Die Sommerzeit, die so viele Jugendliche im Schwimmbad verbringen, ist für mein Sohn nicht möglich. Er meidet das Wasser, trotz einer Schwimmbrille mit Sehstärke. Das tut mir in der Seele so weh. Schlimm, dass sich seit den 70er nichts geändert hat. Ein wenig mehr Feingefühl von den Lehrern hätte vielleicht schon ausgereicht und mein Sohn hätte vielleicht heute doch ein wenig Freude am Wasser.
Ich danke von Herzen für deinen Kommentar, liebe Mutter eines 16jährigen. Dafür schreibe ich: Damit Menschen sich gesehen fühlen, einen Ort haben, sich nicht mehr falsch fühlen. Und auch: Damit wir in kleinen Schritten Einfluss nehmen können. Denn es ist ja nicht Bösartigkeit, dass etwas nicht passiert, sondern Unwissenheit. Hast du meinen Artikel 7 Didaktikideen für den Schwimmunterricht schon gesehen? Für deinen Sohn ist auch „Du bist sexy (auch mit Brille)“ interessant, auch wenn er vermutlich keine Blogs liest. Euer Sohn ist noch jung. Ich wünsche ihm, dass er Wege findet, für sich ein anderes Selbstwertgefühl zu entwickeln. Denn darum geht es ja. Die Freude kann er sich wieder holen. Vielleicht nicht fürs Wasser, aber für viele andere Dinge. Es fängt damit an, dass ihm jemand wirklich sieht und versteht und dann mit ihm neue Ideen entwickelt. Alles Liebe dir und danke, dass du dich hast berühren lassen. Deine Anne
Liebe Anne, ich sitze hier mit meinem Handy und lese deinen Schwimm-Bericht und weine, weine, weine. Ich weiß GANZ GENAU, wie es dir ging, denn mir ging es genau so.
Mit ca 10 Jahren: Rechts ca -13 dio (später waren es -16), links eh nur 5% Sehkraft dank Frühgeborenen-Retinopathie.
Ich war so oft Außenseiter, unsportlich, groß und sehr schlank. Es hat kein Mensch verstanden, kein Lehrer, keine Freundin, die Eltern auch nicht. Geht ja nicht, es erleben nur wenige selber mit solchen Augen.
Nun bin ich 50, und wurde vor 7 Jahren wegen Katarakt mit Intraokularlinsen ausgestattet (Rest-Schwäche rechts -2,5 dio, links blieb es bei 5%) Ich bin jeden Tag glücklich und dankbar für dieses Geschenk (und hab ne Riesenangst vor neuen Netzhautblutungen, Makula-Rissen und solchen Dingen, die mir mehrmals in den letzten Jahren beschert waren).
Von meiner degenerativen Nierenkrankheit und der derzeitigen Anämie berichte ich hier nicht…. Wir haben ja alle ein paar Baustellen.
Liebe Anne, ich nehme dich grad ganz fest in die Arme! Veel knuffels voor jou & hartelijke groetjes ? Dagmar
Liebe Dagmar, wie schön, dass du dich so gesehen fühlst. Genau dies ist mir wichtig. Dass wir gesehen werden. Mein erster Impuls war: Jetzt brauche ich keine Umarmung mehr. Das stimmt natürlich nicht. Die Jugendliche sitzt ja noch irgendwo in mir drin. Also, knuffels gerne genommen. Herzlich und sterkte, Anne