Dieser Artikel ist für dich, wenn du hochgradig kurzsichtig bist. Wenn du dich jemals für deine Brille geschämt hast. Wenn du jemals wegen deiner Brille gehänselt wurdest. Und wenn du dich deshalb nicht attraktiv und begehrenswert fühlst.
„Ich schäme mich wegen meiner Brille.“
Ich lese Nachrichten von wunderbaren jungen Frauen und Männern, die sich schämen für ihre Brille. Von Jugendlichen, die berichten, dass sie in der Schule gemobbt werden, weil sie eine Brille tragen. Die herausfinden möchten, was die beste Brille für sie ist. Mein Herz blutet. Ich höre und fühle, was vielleicht nicht gesagt wird.
Hinter diesen Fragen nach der besten, sprich dünnsten Brille verbergen sich oft Ängste: „Ich bin hässlich. Niemand findet mich attraktiv.“ „Niemand wird mich ernst nehmen mit dieser Brille.“
Und das kommt nicht von ungefähr.
Keine strahlende Heldin, nirgends.
In Filmen sind die, mit den dicken Brillen immer die Nerds, die komischen Typen, die, die irgendwie verpeilt und einsam im Leben stehen.
Die, mit den dicken Brillen, dass sind die Loser. Das Gegenmodell zu den strahlenden Held*innen. Im besten Falle sind sie intelligent. Aber attraktiv? Fehlanzeige.
Heute macht mich dies so unglaublich wütend.
Wie schwer wird es dir gemacht, hier deinen eigenen Weg zu gehen. Selbstbewusst zu sein. Ein positives Selbstbild zu dir und deinem Körper aufzubauen.
Vielleicht hast du wunderbare Eltern, die dir sagen, wie schön sie dich finden. Aber wem glaubst du mit 14 oder 18 Jahren mehr? Deinen Eltern oder dem, was du täglich überall siehst und hörst in deiner Welt? Eben.
I feel you
Erst seit Kurzem bin ich mir bewusst darüber, wie sehr meine Brille mein Leben bestimmt hat. Nicht nur wie in diesem Artikel beschrieben im Schwimmunterricht und in so vielen praktischen Situationen, sondern auch darin, wie ich auf Jungen und Männer zugegangen bin. Wie sexy ich mich fühlte.
Damals mit 16…
Meine Mutter erzählt mir die folgende Geschichte:
Ich bin vielleicht 16 Jahre alt. Wie hoch meine Dioptriezahl ist, weiß ich nicht mehr genau, mindestens – 12 Dioptrie, vermutlich etwas mehr.
Ich habe Kontaktlinsen, aber diese kann ich nicht immer tragen. Eine richtig gute Brille soll her von einem richtig guten Optiker.
Nach langem Probieren und Beratschlagen habe ich es gefunden: Das schicke Modell mit etwas breiterem Rahmen, das perfekt zu meinem Gesicht passt.
Meine Mutter erzählt, wie sehr ich mich freute und wie groß meine Hoffnungen waren.
Einige Tage später fahren wir voller Vorfreude dann also wieder zum Optiker.
„Du hast bitterlich geweint als du die fertige Brille mit deinen starken Gläsern sahst.“
Das tollste Modell, die bestmöglichen Gläser und die Welt der 16- jährigen Anne bricht zusammen. Nie soll mich jemand damit sehen. (Was natürlich unmöglich ist.)
Möglichst unsichtbar
Ich erinnere mich noch heute an mein (Körper-) Gefühl, wenn ich versuchte, eher unauffällig zu sein, damit niemand merkt, dass ich so eine Brille auf der Nase habe.
Ich erinnere mich an Feste und Ferien, wo ich Jungs höchstens aus der Ferne anhimmelte, weil ich im tiefsten Inneren überzeugt war, dass sie mich sowieso niemals attraktiv finden können.
Ich erinnere mich an die viel zu langen Stunden, die ich meine Kontaktlinsen trug, weil die Idee zu schrecklich war, irgendwo in meiner Brille aufzutauchen.
Ich erinnere mich an Feste, zu denen ich nicht ging, weil die Idee, dass ich da mit Brille sein soll, mir unmöglich erschien.
Nie wurde ich gehänselt und doch hatte mich die feste Überzeugung im Griff, dass eine mit meiner Brille nicht attraktiv ist. Stark – unbedingt. Sexy – ich doch nicht. Jahrelang.
Meine Überzeugung hatte mich im Griff
Genau: Die Überzeugung hatte mich im Griff. Ich konnte es mir absolut nicht anders vorstellen, als dass die Gleichung so aussieht: Dicke Brille = unattraktiv = nicht begehrenswert.
Heute weiß ich: Es gab so einige Menschen, die mich attraktiv fanden. (Manche haben es mir später erzählt, als sie selbst mutiger waren). Aber ich habe es nicht wahrhaben können. Denn ich habe es nicht bemerkt und war 100% überzeugt, dass sie mich „nur nett“ fanden. Sympathisch, eine, mit der man toll reden kann. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass etwas anderes wahr sein könnte.
Mein Herz blutet für die junge Anne. Die sich erst „erlöst“ fühlte, als sie quasi „dank“ der Staroperationen keine dicken Gläser mehr hatte. Da war ich Anfang 30.
Mein Herz blutet für all die wunderbaren, schönen Menschen, die sich hässlich fühlen aufgrund ihrer Brille. Dieser Artikel ist für euch.
Ich beschönige nichts
- Ja, Kinder und Jugendliche können hart sein.
- Ja, eine starke Brille gehört nicht ins gängige Schönheitsideal.
- Ja, das wird sich vermutlich in der nächsten Zeit nicht ändern.
- Ja, es wird Menschen geben, die das nicht attraktiv finden.
- Ja, eine Brille mit – 14 Dioptrien sieht auch mit den teuersten Gläsern nicht nach Durchschnitt aus. Noch weniger eine mit – 20 Dioptrie.
Das ist die unfreundliche Realität, so lange es keine coolen Vorbilder gibt. Keine Insta-Influencer*innen mit dickeren Brillen, keine Hollywoodstars, die der strahlende Held sind in ihrer schönen – 8 Dioptrie Brille.
Menschen sind da schwach und beeinflussbar. Das ist so.
Aber dies ist nur eine Seite. Es gibt noch eine andere Realität. Eine, die du in der Hand hast.

Was ich als junge Frau gerne gewusst hätte
Du bist sexy!
- Wenn du dich selbst attraktiv findest, ziehst du Menschen an.
- Wenn du Stärke und Selbstbewusstsein ausstrahlst, dann ist das attraktiv.
Ich höre schon dein Lachen: Ja, ja, natürlich. Das glaubst du doch selbst nicht. Doch, das glaube ich. Davon bin ich sogar überzeugt.
Wenn du dich sexy fühlst:
- gehst du mit erhobenem Kopf und aufrecht irgendwo hin.
- strahlst du aus, dass du dich magst.
- lachst du herzlich und lässt alles sehen, wie toll du bist.
- merkst du, wenn jemand dich gut findet.
- bist du einfach du selbst.
Keine verhuschte Maus, keiner der denkt, er muss Witze reißen, um irgendwie anders auf sich aufmerksam zu machen, keine*r die lieber nicht feiern geht als mit Brille.
Das Verrückte ist: Wenn ich Bilder von den schönen jungen Menschen sehe, die sich so sehr für ihre Brillen schämen, denke ich oft: Sah ich früher vielleicht auch so strahlend und gut aus?
Das Verrückte ist: Wenn ich jetzt zurück denke, habe ich immer dann jemanden kennengelernt, wenn ich mich nicht besonders schön gemacht hatte. Und nein, sie waren nicht sofort wieder weg, als sie mich dann in meiner Brille sahen.
Wir können sie nicht plötzlich herzaubern, die coolen, attraktiven kurzsichtigen Held*innen mit starken Brillen. Auch heute wirst du vermutlich kein Vorbild finden. (Wenn doch, lass es hier wissen!)
Es gibt nur eine Lösung:
Sei eine Sehheldin. Sei ein Sehheld. Und zeige der Welt, wie attraktiv du bist. Wie cool. Wie sexy. Abgemacht?
Sei mutig und teile hier deine Erfahrungen und Ideen. Damit alle noch mehr Sehheld*in sein können!
Sag mir Bescheid, ob du Interesse hast, an einem kleinen Workshop „Sexy mit Brille.“ Dann machen wir das.
Hi Anne,
danke für diesen Artikel, der mir zeigt: Es gibt auch andere, die das gefühlt haben.
Ich hatte keine derartig starke Brille, aber in meinem Umfeld (meine Klasse, mein Dorf, meine Familie) hatte ich die dicksten Gläser mit +6 und +6,5.
Als die Entwicklung endlich so weit war, dass es Kontaktlinsen für mich gab – einige Jahre auch nur harte – war das eine Befreiung. Ich war gerade im letzten Schuljahr und bin förmlich aufgeblüht vor Selbstvertrauen.
Heute gibt es sogar weiche Linsen, aber ich brauche sie gar nicht mehr. Der Trend zu großen Brillen kommt mir entgegen, weil die Gläser dadurch mittlerweile so dünn sind, dass meine Augen fast gar nicht mehr vergrößert werden. Kein Lupen-Effekt mehr.
Außerdem macht einen das Alter souveräner. Ich habe meinen Frieden mit dem Ding gemacht und akzeptiere meine Ecken und Kanten (die Augen sind nur eine davon). Genau das ist es für mich, was jemanden attraktiv macht.
Für Jugendliche ist es natürlich schwer zu akzeptieren, wenn jemand sagt: „Wenn du älter bist, wird es besser.“ Für mich ist es aber genau so gekommen.
Danke für deine Arbeit und bis bald
Robert
Liebe Robert, von Herzen für deinen offenen Kommentar. Wie schön, dass einerseits die fortschreitende Brillentechnik dir den Weg geebnet hat und dann das, um was es als Sehheld geht: Sich wirklich im Inneren zu akzeptieren. Ich würde da so gerne auch mit jüngeren Menschen mal einen Workshop machen. Denn wir hatten fast alle niemanden in der Umgebung als Vorbild. Mit 15 oder 16 Jahren diese Akzeptanz aus sich selbst zu holen, auf sich selbst gestellt, das ist so schwer. Bleiben wir mutig, Anne
Tolles Thema!
Ich selbst habe lange Kontaktlinsen getragen, weil ich (mich mit) Brille immer schon unattraktiv fand. Heute sehe ich meine Brille(n) als ein Accessoire und die Möglichkeit, damit aufzufallen, wenn ich das möchte.
Liebe Rosa, ja, oder? :). Toll, dass du diesen Umschwung für dich geschafft hast. Wie ist dir das gelungen? LG, Anne
Auch wenn ich denke „autsch, erwischt!“ – danke für diesen wunderbaren Artikel. Wenn ich heute Fotos sehe von mir früher mit der dicken hässlichen Brille … auweh. Ich erkenne alles wieder: Spott in der Familie darüber, Mobbing in der Schule, und immer noch stärkere Gläser. Und das kleine Mädchen, das sich nicht traute, den Kopf zu heben.
Danke, dass Du MUT machst! ❤
Liebe Anja, gut erwischt, prima. Traurig, oder? Es war für mich eine Befreiung irgendwann den Zusammenhang wirklich deutlich zu haben für mich. Mein Artikel ist auch ein Appell an alle Eltern und Lehrer*innen. Auch mal zu sagen: Du siehst ja klasse aus heute. Cooles Outfit. Und sonst: Aufrecht stehen – Powerpose :). Bleib mutig, Anne
Liebe Anne, das hast du wunderbar formuliert, ich möchte jedes einzelne Wort unterstreichen! Ja, mir haben sie auch gefehlt, die Vorbilder – wohl auch deshalb habe ich mich viele Jahre nicht getraut, meine Brille zu tragen! In meiner Jugend kam in Filmen kaum ein gut aussehender Mensch mit Brille vor, und wenn, dann höchstens mit Fensterglas – wenn nicht sogar ganz ohne Glas. Und ehrlich gesagt, eine gut aussehende und voll im Leben stehende Hauptdarstellerin, die starke Brillengläser trägt, ist in Filmen auch heute noch undenkbar. Eine Heldin mit starker Brille ist bzw. war für mich Anna Politkowskaja – ein Jammer, dass sie ermordet wurde.
Liebe Marion, wir suchen weiter! Sehheld*innen nach vorne. Bleib mutig, Anne