Oder: Informationswüste damals. Informationswüste auch heute?
Hohe Myopie: 3 mal Wissenswertes
- Hochgradige Kurzsichtigkeit oder Hohe Myopie beginnt bei minus sechs Dioptrie
- Ab – 6 Dioptrie ist ein erhöhtes Risiko auf zum Beispiel Netzhauterkrankungen, Netzhautablösungen oder Star.
- Weltweite Studien belegen einen Anstieg von Kurzsichtigkeit unter Anderem aufgrund hohen Bildschirmgebrauchs.
Warum dieser Artikel?
Ich bin Jahrgang 1965. Damals war noch kaum etwas zu Myopie bekannt. „Sie braucht eben eine Brille.“ Aber auch durch Gespräche und Posts in meiner Facebookgruppe für Hochmyope und Eltern weiß ich: Heute ist es bei vielen Optikern und Augenärzten auch nicht selbstverständlich, dass sie sich wirklich gut auskennen.
In diesem Blogpost geht es mir hauptsächlich darum, dich aufmerksam zu machen. Dir zu sagen: Das ist nicht „einfach nur eine Brille“. Hohe Myopie ist heutzutage anerkannt als Augenkrankheit, die deine Aufmerksamkeit verdient.
Und falls du nicht mehr zwanzig bist, hast du wahrscheinlich Ähnliches erlebt wie ich. Dann freue ich mich, wenn du dich durch meinen Artikel gesehen fühlst, liebe Mit-Kurzsichtige.
Meine Erfahrung zur Informationswüste Hochgradige Kurzsichtigkeit
Es ist erst einige Jahre her. Die Folgeerscheinungen meiner pathologischen Myopie bestimmen jetzt so deutlich mein Leben, dass ich nicht mehr so tun kann, als op sie das nicht täten. Ich möchte endlich richtig verstehen, was da schon mein ganzes Leben Teil von mir ist. Ich möchte informierte Patientin sein. Das Spannende ist: Ich, die sonst alles, wirklich alles googelt, weiß damals herzlich wenig über meine Augenerkrankung. Wie kann das nur sein?
Wurzeln der Unwissenheit
Ich frage meine Mutter: Sag mal, wie viel Dioptrie hatte ich denn damals als ich meine erste Brille bekam so mit ungefähr zwei Jahren? Damals, als ich nicht laufen lernte und eine Tante die Idee hat, dass ich vielleicht Angst habe, aufzustehen, weil ich nicht so gut sehe. „Das weiß ich gar nicht mehr so genau,“ sagt sie, „es ist ja schon so lange her. (Das stimmt allerdings). Ich glaube so minus 6 Dioptrie, vielleicht auch minus 8 Dioptrie. Nicht so schlecht jedenfalls.“
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Wie wenig war damals bekannt über Kurzsichtigkeit. Brille auf und weiter. Und sie hat natürlich recht: Im Vergleich zu meinen späteren minus 23 Dioptrie muten – 6 Dioptrie geradezu läppisch an.
Kaum Wissen zu hochgradiger Kurzsichtigkeit
Dies war in den 60ern. Wir wussten nichts. Kein Arzt hatte meine Eltern darüber aufgeklärt, was es bedeutet, wenn ein Kleinstkind schon derart schlechte Augen hat. Niemand hat mit ihnen darüber gesprochen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit von weiterer Verschlechterung und Folgeschäden ist. Sie wussten es selbst nicht.
Auch später als junge Erwachsene wusste ich noch nicht viel, ausser wie sehr ich es selbst belastend fand. Was ich da eigentlich habe und dass dies eine sehr ernstzunehmende Augenerkrankung ist und nicht einfach „etwas, dass ich habe“, das war mir nicht klar. Wir waren ahnungslos, damals im Vorinternetzeitalter. Ich habe halt schlechte Augen, eine enorm hohe Dioptriezahl. Das war es in etwa, Ängste inbegriffen.
Später sagen Ärzte zuweilen etwas wie: „Es kann sein, dass Ihre Netzhaut noch schlechter wird.“ Noch später: „Passen Sie auf, ob Sie Blitze sehen oder Russregen, dann müssen Sie SOFORT in die Klinik.“
Oft aber eher vage, eher nachgestellt als im Hauptsatz. Es drang nicht wirklich zu mir durch, wie wahrscheinlich es ist, dass ich mit minus 23 Dioptrie Augen sehbehindert werde. So richtig, offiziell, mit Stempel und behördlich anerkannt.
Meine Interpretation der Nachsätze war immer: Wenn ich großes Pech habe, dann passiert etwas mit der Netzhaut. Es kann passieren, so wie so Vieles im Leben passieren kann. Das hing mir irgendwie im Unterbewusstsein, aber mehr als verschwommene Sorge.
Kleiner Einschub: Selbstbild mit sechs Jahren: Anne mit Brille 💕
Gute Kommunikation ist, was die Patientin erreicht
Bekanntlich ist Kommunikation dann gelungen, wenn die „Empfängerin“ (also ich und meine Eltern) verstehen, was wichtig ist. Das war klar nicht der Fall.
Wollte ich es so verstehen? Wurde es nicht besser kommuniziert? Gab es damals einfach noch nicht ausreichend Informationen?
Was ich im Nachhinein sagen kann – und wir wissen ja, Erinnerung ist trügerisch:
- Augenärzte haben es nicht so kommuniziert, dass ich es wirklich hören und verstehen konnte.
- Wenn sie etwas kommuniziert haben, dann oft auf eine Manier, dass ich es so schnell wie möglich wieder verbannt habe aus meinem Bewusstsein. Drastisches Beispiel: Ich erinnere noch einen Professor, unglaublich unfreundlich und kein Funken Empathie erkennbar. Auf dem Weg nach Draußen gab er mir die Hand mit der Bemerkung: „Sie wissen ja, es kann Ihnen passieren, dass Sie morgen früh aufwachen und sehen nichts mehr. Schönen Tag noch.“
- Oder es kam so sachlich und als gefühlter Nebensatz rüber, dass ich nicht registriert habe, dass das wirklich ernstzunehmen ist, sehr sogar.
- Oder es waren eben nur die trockenen Fakten der Augenuntersuchung, für Fachleute absolut deutlich, für mich nur Zahlen.
- Lange Zeit war mein Fokus darauf, wie „hässlich“ die Brille wieder aussehen würde. Jedes Dioptrie mehr habe ich dann mehr gehört als „noch hässlicher“ als in Bezug auf medizinische Relevanz. Das wurde auch nicht vermittelt.
- Warum die Kommunikation mit Augenärzten so war, kann ich nur erahnen als Patientin: Hatten sie Angst vor den unausweichlichen Emotionen? Dachten sie, sich klar ausgedrückt zu haben? Wussten sie damals selbst nicht genug über hohe Myopie? War diese Information für sie aus augenärztlicher Sicht nicht Teil ihres Auftrages?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Es war eine absolute Informationswüste, viele Jahre lang.
Lass uns austauschen!: Wie war es bei dir?
Was ich weiß ist: Viele Menschen mit hoher Myopie, die ich bisher gesprochen habe, berichten das Gleiche oder sehr Ähnliches, vor Allem, diejenigen, die älter als dreißig Jahre sind und sicher diejenigen, die über fünfzig Jahre sind.
„Ich hatte keine Ahnung, wie gefährlich es ist.“ „Nie hat mir jemand gesagt, welche Folgeschäden auf mich warten können.“
„Ach, das ist eine Augenerkrankung? Das wusste ich gar nicht. Ich dachte, ich brauche einfach nur eine Brille oder Linsen und gut ist. Sorgen habe ich mir natürlich immer gemacht und habe gelitten, wenn es wieder eine Dioptrie mehr war. Aber ernstgenommen hat mich eigentlich nie jemand wirklich.“
Wie war es bei dir? Ähnlich oder völlig anders? Bitte berichte unten in den Kommentaren! Es ist so wichtig, dass wir uns hier sehen und auch Erfahrungen nach Außen tragen.
Liebe Mit-Sehheld*in, was sind deine Erfahrungen?
- Wusstest du schon immer, dass Kurzsichtigkeit (Myopie) schon ab – 6 Dioptrie als hoch eingestuft wird und dass es eine Augenerkrankung ist?
- Weißt du, dass es absolut anzuraten ist, mindestens einmal pro Jahr zum Augenarzt zu gehen und auch deinen Augenhintergrund regelmäßig untersuchen zu lassen?
- Hast du schon jemals gehört, wie wichtig die Länge deines Augapfels ist für eine Diagnose?
Liebe Eltern kurzsichtiger Kinder, wie ist es heute?
- Liebe Eltern von Kindern mit starker Kurzsichtigkeit, werdet ihr heute automatisch im Detail informiert?
- Habt ihr schon jemals von Myopie Management gehört?
- Wisst ihr alles über Atropintropfen oder Speziallinsen? Wurde das Für und Wider genau mit euch besprochen?
- Werdet ihr durchverwiesen an Spezialisten?
- Sagen eure Augenärzte ehrlich: „Ich bin ein erfahrener Augenarzt, aber von hochgradiger Myopie habe ich nicht genug Ahnung?“
Hohe Myopie ist für viele Augenärzte noch immer ein fast unbekanntes oder zu wenig bekanntes Feld. Ich will dazu beitragen, dass sich das verändert.
Anne Niesen | SEHHELDIN
Also: Helft durch eure Kommentare: Was sind eure Erfahrungen? Was wünscht ihr euch? Teilt, macht aufmerksam, fragt nach!
Wir können einen Unterschied machen! Je mehr wir berichten, je mehr wir nachfragen, je mehr wir Informationen suchen und fordern, je mehr wird die Wüste blühen. Davon bin ich überzeugt.
Bis bald, herzliche Grüße, eure Anne aka SEHHELDIN
- Du möchtest für dich die Wüste hinter dir lassen? Dann komm in meine geschlossene Facebookgruppe. Für Austausch, Teilen, Mitfiebern, Informationen. Einfach hier clicken. Herzlich willkommen.
Lies hier, warum ich dafür plädiere, von Hoher Myopie zu sprechen - Lies hier, warum die Hohe Myopie FB Gruppe Motivator und Anstoss für mich war, eine deutsche Facebookgruppe für Hoch-Myope zu gründen
Liebe Anne,
Toll geschriebener Artikel. Um auf deine Frage eine mögliche Antwort zu geben: viele Augenärzte haben verstanden, dass sich mit pathologischen Augenveränderungen wie beispielsweise eine Netzhautablösung Geld verdienen lässt. Meiner Meinung v nach ist das ein Grund, warum das nicht konkret kommuniziert wird.
Wir sind Spezialist für Myopie Management und in der Hinsicht allerlei Erfahrung.
https://sichtbar-bremer.de/myopie-management/
Alles Liebe und weiter so
Lukas
Hallo Lukas, danke für deinen Kommentar und deinen Einsatz fürs Myopiemanagement. Es ist so wichtig, dass Kindern wenn möglich mein Augenschicksal erspart bleibt. (Den Link lasse ich mal drin ;). Danke auch für deine Meinung. Ich hatte immer sehr ethische Augenärzte, das erschüttert mich gerade ein wenig. Du denkst tatsächlich, dass dies quasi absichtlich unterlassene Hilfeleistung ist? Hhm…Herzlich, Anne
Hallo Anne,
Unterlassene Hilfeleistung klingt zu krass und kann man auch niemandem unterstellen. Aber in meiner mittlerweile 15 Jährigen Praxis habe ich es noch NIE erlebt, dass ein Augenarzt den Patienten Myopie Management empfohlen bzw. praktiziert hat. Das ist sicherlich auch von Arzt zu Arzt verschieden, man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Dennoch ist in der Hinsicht viel Luft nach oben.
Lieber Lukas, da bin ich ja froh, dass ich nochmal nachgehakt habe :). Das ist wirklich nicht viel..Ich würde da ja gerne mal Augenärzt*innen zu befragen, was der Grund sein könnte. Skepsis? Nicht genug wissen? Oder..? Das wäre doch mal eine Untersuchung wert. Ich weiß, aus meiner Facebookgruppe für Hochmyope (https://www.facebook.com/groups/heimatfuerhochmyope), dass es durchaus Augenärzt*innen gibt, die das tun, aber dass tatsächlich auch viele Eltern nichts davon gehört haben. Es gibt tatsächlich auch Menschen, die sagen, damit wollen nur die Optiker*innen Geld verdienen ;), aber dazu gehöre ich eindeutig nicht! Wir bleiben am Thema dran, herzlich, Anne
Liebe Anne, es stimmt, Augenärzte halten sich sehr bedeckt mit Aussagen über den Zustand der Augen. Meine langjährige Ärztin, eine Netzhautspezialistin, hat jedesmal erschrocken kurz eingeatmet, wenn sie auf die Makula meines rechten Auges geschaut hat. Ihr Kommentar dazu: „Alles in Ordnung.“
Eine andere Augenärztin hat mir später ganz trocken gesagt, „Sie haben da eine kleine Narbe.“
Trotzdem weiß ich seit ich 13 Jahre alt bin, dass bei hoher Myopie eine Erblindung möglich ist. Die Information war zwar nicht für mich bestimmt, sondern für meinen Vater, aber er hat es kurz danach in der Familie angesprochen und so habe ich über einen Umweg davon erfahren.
Später, kurz vor der Geburt meiner Tochter kam das Thema wieder auf, da der Geburtsmediziner es für zu gefährlich hielt, wenn ich presse, und deshalb eine Erleichterung der Austreibungsphase mit Vollnarkose angeordnet hat.
Insgesamt fehlen uns Betroffenen viele wichtige Informationen, angefangen z.B. bei geeigneten Arbeitslampen. Man merkt selbst erst, wenn man Augenschmerzen bekommt, dass man sich kümmern muss. Dabei wäre es womöglich besser gewesen, vorher schon etwas zu tun.
Liebe Claudia, danke für deine Erfahrungen. Ich wünsche mir für die Zukunft bessere Kommunikation und up-to-date-Wissen von Augenärzt*innen. Wie wir gestern im Vortrag von Dr. H. Kaymak erfahren haben, ist Pressen keine Gefahrenquelle. Ich kann mich so gut hineinversetzen in das, was du schreibst. Praktische Dinge sind zwar nicht Aufgabe der Ärzt*innen, aber ein kurzes: „Wissen Sie übrigens, dass..hier bekommen Sie Infos“ würde ja schon ausreichen. Meine Erfahrung: So lange wir einfach „nur“ hochmyop sind und noch einen recht hohen Visus haben, fühlt sich niemand zuständig. Dann werden wir nicht von Sehbehindertenorganisationen begleitet, kommen ja gar nicht auf die Idee, dass dort jemand für uns zuständig sein könnte. Noch mehr: Wir wissen u.U. ja gar nicht, dass es nicht normal ist, dass Licht sich im Auge so anfühlt oder dass es so dunkel aussieht mit durchaus hellem Licht. Wenn der Vergleich fehlt oder ein Hinweis, dann ist es ein bisschen „zufällig Drüberstolpern.“ Wenn die Netzhaut noch irgendwie ok ist, die Makula auch, dann wurschelt man sich so durch. Das geht wirklich besser! Bleiben wir mutig, Anne
Als Jugendliche war für mich die immer weiter zunehmende Kurzsichtigkeit eine psychische Belastung, mit -6 Dioptrien begannen die Schwierigkeiten mit Brille. Kontaktlinsen geben Normalität zurück und machen die starke Kurzsichtigkeit unsichtbar.
Bei Augenärzten und Optikern fühlte ich mich mit meiner Situation oft nicht richtig verstanden und berücksichtigt. Dann gibt es mit starker Kurzsichtigkeit einige Bereiche mit Besonderheiten, mehr, als mir bewusst waren! Das wird hier im Blog in der Breite behandelt (was sonst immer fehlt), daher vielen Dank für die SEHHELDIN, Anne! Auch wenn es mit Negativem konfrontiert.
Das Bild der Wüste finde ich sehr zutreffend!
Dass ich ein höheres Risiko für eine Sehbehinderung habe und später eigene Kinder wohl noch stärkere Kurzsichtigkeit bekommen, gibt mir schon zu denken.
Meine Stärke (-10 Dioptrien) ist bei anderen (und mir selbst) oft mit einer Sprachlosigkeit verbunden, leicht mit einem Stigma, wie es mir nicht entspricht (nicht einmal mit Brille unbedingt)! Andererseits ist die starke Kurzsichtigkeit für mich ehrlicherweise schon auch mit Einschränkung verbunden. Wobei es aber auch viele andere Herausforderungen im Leben gibt.
Ich wünsche mir mehr Akzeptanz, Respekt und Professionalität!
Liebe Luisa, ich freue mich sehr, dass die SEHHELDIN dir das gibt, was ich auch lange suchte und nirgends fand: Anerkennung, Wissen, GESEHEN werden. Wir brauchen alle eine Heimat und auch das Gefühl: Ich werde gesehen. Herzlich willkommen, ich freue mich, dass du so viel aus meinen Artikeln ziehst und so engagiert kommentierst. Das hilft dann auch wieder anderen, sich gesehen zu fühlen. Was meinst du mit Sprachlosigkeit? Worüber wird in deiner Erfahrung nicht gesprochen? Und welche Einschränkungen erfährst du? Falls du nicht schon dort bist: Herzlich willkommen in meiner Facebookgruppe für Hochmyope. Bleibe so engagiert und mutig, Anne
Mir sind sie im Kindergarten draufgekommen, weil ich mich auffällig unbeholfen benommen habe. Das war zu Beginn der 1990er, und ich war knapp 3 Jahre alt.
Ich bekam eine Brille mit etwa -3 Diotrien verpasst, an die ich mich schnell gewöhnte. Temporär wurde mir ungefragt ein Auge mit Arielle der Meerjungfrau abgeklebt, aber das war zum Glück nur vorübergehend.
Als KInd hatte ich zwei Augenärztinnen, die beide keinen einzigen Satz mit mir gesprochen haben, dafür umso mehr mit meiner besorgten Mutter, und die älteren Leute in meinem Umfeld mutmaßten, dass ich entweder besonders arm oder besonders gescheit sein müsste (was sich beides nicht bewahrheitet hat), und mir wurde die Hoffnung eingeimpft, dass ich die Brille vielleicht irgendwann nicht mehr brauchen würde.
Es war das Zeitalter der kleinen ovalen Gestelle, die schief im Gesicht hingen und ständig verrutschten, und die zerkratzten Kunststoffgläser wurden von Jahr zu Jahr dicker.
Mit 10 Jahren war ich bei -6, mit 13 bei -8 und mit 17 bei -11.
Damals sagte mein Augenarzt zu mir, er hätte nur selten jemanden in meinem Alter mit so hohen Werten erlebt, und zugleich konnte er mir glaubhaft vermitteln, dass ich trotz allem „gute Augen“ hätte. Das war für mich einerseits beruhigend, andererseits hatte ich dadurch keinen Grund, mich mit meinem Defizit intensiver auseinanderzusetzen. Umso glücklicher war ich etwa ab Mitte 20, es mit hochqualitativen, entsprechend teuren hochbrechenden Gläsern einigermaßen kaschieren zu können.
Gleichzeitig war und bin ich aufgrund der Stärke meiner Gläser immer ein Stück weit eine Exotin, die nicht nur regelmäßig die Neugier, sondern auch die Abwertung der Anderen zu spüren bekommen hat, manchmal auch heute noch.
Sie wissen es einfach nicht besser.
Heute bin ich knapp 36, und ich bin bei -14 und habe zusätzlich 4dpt Astigmatismus wegen meiner anspruchsvollen Hornhaut, was dazu führt, dass ich ohne Brille nicht nur alles extrem unscharf, sondern auch alles extrem verzerrt sehe. Mit Kontaktlinsen habe ich eine eher durchwachsene Beziehung, und Lasern geht wegen der Hornhaut nicht. Und damit mir nicht langweilig wird, wohnen in meinem rechten Auge viele braune Würmer, die mir insbesondere an hellen Tagen das Leben schwer machen.
Bis vor etwa 4 Jahren habe ich das als Teil meines Schicksals abgetan, bis ich per Zufall in Annes Gruppe für Hochmyope eingeladen wurde. Erst zu diesem Zeitpunkt habe ich begonnen, ein Bewusstsein für meine Situation zu entwickeln – und ich konnte mich erstmals mit netten Menschen austauschen, denen es so ähnlich geht wie mir. In meinem normalsichtigen Umfeld ist das alles naturgemäß nicht möglich, was mich in der Vergangenheit auch manchmal ein wenig traurig und einsam gemacht hat.
Mit diesem frischen Bewusstsein schaffe ich es mittlerweile recht gut, meinen Augenarzt und meinen Optiker mit spezifischen Fragen zu löchern, und dann tatsächlich schlüssige Antworten zu bekommen. Es ist gut zu wissen, wie es um meine Augen steht und was es für Möglichkeiten gibt. Früher wäre mir das alles nicht eingefallen.
Hallo Luisa, es ist nicht gesagt, dass eigene Kinder höhere Kurzsichtigkeit bekommen! Ausserdem kann man heutzutage schon so viel mehr machen für Kinder, Stichwort Myopie Management.
Hallo Luisa, für den Fall, dass du nochmal schaust und kommentierst: Was mich sehr interessiert: Du schreibst – Bei Augenärzten und Optikern fühlte ich mich mit meiner Situation oft nicht richtig verstanden und berücksichtigt.“ Was fehlt dir? Was wünschst du dir mehr oder weniger? Ich möchte auch mit Fachleuten in Dialog kommen, Brücken bauen. Sie können ja auch nur etwas verändern, wenn sie uns verstehen! LG Anne
Hallo Anne, Negativerfahrungen habe ich vor allem als Jugendliche gemacht, wo ich mich alleingelassen fühlte (hochbrechende Gläser bekam ich erst später, auf eigene Nachfrage – ebenso Kontaktlinsen, für die bei meiner Stärke ja auch die Kosten übernommen werden).
Mittlerweile kenne ich aber auch positive Erlebnisse bei Augenärzten und Optikern. Allerdings auch nicht überall. Bei hoher Stärke hat das schon eine größere Bedeutung für einen und sind die richtigen Experten entsprechend wichtig. Luft nach oben für eine umfassendere Beratung gibt es noch!
Hallo Sehhelden, Sehheldinen und liebe Anne!
Danke für Dein tollen Newsletter und die tollen Infos hier auf der Seite.
In Deinen Worten Anne finde ich mich wieder. Du hatte irgendwo auch geschrieben das mann das mann die Krankheit akzeptieren muss. Diesen satz hörte ich vor einigen Jahren von einer jungen Frau in der psychriatischen Tagesklink, als ich mir Depression dort war. ich habe den den Satz nicht begriffen, was die junge Frau auch Patientin dort, mir sagen wollte.
Jetzt ist das Bild klarer und ich habe eine Antwort mit Deiner Hilfe Anne gefunden. Ich geniese das hier und jetzt. Sauge förmlich die guten Dine, Formen, Farben förmlich auf. Da ich ja auch in einer „Zwischenwelt“ zwischen gut und böse lebe.
Liebe Grüsse aus Thüringen Steffen
Lieber Steffen, ich freue mich sehr, dass du hier etwas findest, was dir so gut tut. Und ein großes Danke für dein Feedback. Da habe ich gleich noch mehr Lust, weiter zu machen. Für mich war es ein Wendepunkt, als ich hörte: Akzeptanz heisst, die Realität als Realität zu akzeptieren. (Nicht: Nie traurig sein, nie genervt). Von dem Punkt an dachte ich: Dies kann ich, dies will ich. Vielleicht hilft es dir, deine Zukunft nicht als böse zu denken. Wer will schon ins Böse?
Ich möchte gerne den Newsletter abonnieren. Herzlichen Dank
Liebe Eva, wie schön. Das kannst nur du tun, in du dich über die Newsletter Seite oder das Fach rechts neben dem Blog anmeldest. Herzlich willkommen!
Danke für die offene Kommunikation, ich selbst bin durch meine Myopie (aktuell-10dpt) zu meinem Beruf gekommen, vielleicht kann man sogar schon von Berufung sprechen 😉
Es ist erschreckend, dass das Thema Myopie selbst bei uns Augenoptikern einfach als Fakt akzeptiert wird und man dann nur nach der richtigen Korrektur, sprich Kontaktlinsen oder Brille sucht.
Eine Aufklärung über die Hintergründe-weit gefehlt. Seit einiger Zeit führe ich nun einen eigenen Laden und kann quasi meiner eigenen Philosophie entsprechend jeden (der es hören will) informieren. Oft hören die Kunden Worte wie Myopiemanagement o.ä. Zum ersten Mal und sind über die pathologischen Auswirkungen einer hohen Kurzsichtigkeit entsetzt. Leider habe ich bisher noch keinen Augenarzt in der Umgebung gefunden mit dem eine Art Zusammenarbeit möglich wäre, hier stößt man leider oft auf keine offenen Ohren…. ich überlege nun ob evtl. Kleine Vorträge an Grundschulen sinnig wären. Kennt vielleicht jemand hier ähnliche Ideen?
Hallo Corinna, wie schön, danke für deinen Einsatz und deine Ideen. Hast du eine Idee, warum es schwierig ist, Augenärzte zu finden für eine Partnerschaft? Ich bin sehr für Allianzen, ich glaube das ist der beste Weg, alle Kompetenzen und Erfahrungen zusammen. Aber warum nicht mal mit einem Vortrag beginnen?
Ich habe ähnliche Erfahrungen. Als ich mit ca. 12/13 Jahren meine zweite Brille bekam, Kommentar des Augenarztes zu meiner Mutter: „Ihre Tochter sieht nicht schlecht, sie sieht miserabel“. Keine weiteren Erklärungen, auch keine Nachfragen meiner Mutter. Damals hatte ich gerade mal -6 Dioptrien. Ca. 10 Jahre später, ich war bei ungefähr -7, die Progression hatte nachgelassen, kam dann mal der Vorschlag, regelmäßig die Netzhaut zu kontrollieren. Danach dann das Lasern der gefundenen zum Glück noch ganz kleinen Löcher. Wie es wohl weitergehen könnte, ob es Gefahren birgt, stärker kurzsichtig zu sein, darüber wurde nie ein Wort verloren.
Leider scheint es bis heute nicht viel anders gewesen zu sein. Kurzsichtige Kinder bekommen noch immer viel zu häufig nur immer stärkere Brillengläser und wenn sie das Brilletragen leid sind, halt Kontaktlinsen. Eine Beratung über Möglichkeiten, die Progression zu hemmen und extrem hohe Werte im besten Fall zu vermeiden, ist Glückssache. Wenn ich z.B. auf der Seite Myopiacare nach Spezialisten in meinem Wohnort suche, bekomme ich fast ausschließlich Kontaktlinseninstitute gezeigt. Gut, Ortho-K und multifokale Kontaktlinsen gehören zu den Methoden, die die größte Wirksamkeit versprechen – aber oft sind sie auch mit Befürchtungen und Vorbehalten der Eltern verbunden – ist mein Kind schon reif für Linsen? Können wir uns das leisten? Sie bräuchten zunächst einmal eine allgemeine Beratung über die Möglichkeiten und dann auch Adressen von Augenärzten, die Atropin verschreiben, von Optometristen, die die nötigen Tests durchführen und die Wahrscheinlichkeit einer hohen Progression abschätzen können, und von Optikern, die auch über die Möglichkeiten mit Brillengläsern auf dem Laufenden sind und sich eine entsprechende Versorgung zutrauen.
Hallo Marion, spontan freue ich mich für dich dass deine Augen wunderbarerweise nicht schlechter wurden. Das ist schön. Ich bin sehr für Interdisziplinarität und für unabhängige Beratung. Gleichzeitig finde ich es auch wichtig, Ängste mitzusehen. Nie geht es nur um Wissen. Ich glaube, die Schwierigkeit ist, dass Vieles so in den Anfängen ist, es auch widersprüchliche Meinungen unter Experten gibt. Das fordert von allen viel ab und schreckt vielleicht auch ab. Wir bleiben dran.
Das ist für mich sehr erkennbar, Anne. Vielen Dank für Ihren Blog.
Anne, ich bewundere dein art um das alles so gut zu umscheiben.
Leider ist mein Deutsch viel zu slecht um kommentar zu umschreiben.
Lieber Arie, danke für dein Kompliment! Ja mag ook in het Nederlands schrijven hoor. Ik vertaal het dan wel.
Hallo, ich hatte meine erste Brille auch mit 2 Jahren, damals hatte ich ca 9 Dioptrie. Meine damalige Augenärztin hatte meine Mutter diesbezüglich auch nicht richtig aufgeklärt es wurde nur gesagt dass es ratsam ist, dass ich keine eigenen Kinder haben sollte, da ich diese Kurzsichtigkeit weitervererben kann. Im Laufe der Jahre wurde meine Sehstärke immer schlechter. Als ich das 12 Lebensjahr erreicht hatte, hat meine Augenärztin mir Kontaktlinsen verabreicht es war für mich eine Erleichterung diese zu haben, aber ich wurde nicht über die Folgeschäden die durch diese hohe myophie entstehen können aufgeklärt. Mit circa 20 Jahren hatte ich dann schon – 17 Dioptrien und mit dem linken Auge nur noch einen Visus von 0,3. Durch einen Zufall, hatte ich meine Hausärztin gewechselt da war ich ca 27 Jahre alt. Sie hat mir angeraten einmal den Augenarzt zu wechseln und hat mir auch gleich eine empfohlen. In dieser Praxis bin ich bis zum heutigen Tag. Ich fühle mich dort gut beraten. Es ändert aber nichts an der Tatsache dass ich jetzt mit nun schon 51 Jahren nur noch einen Visus von beidseitig 0,05 habe.
Liebe Manuela, wunderbar, dass du dich gut beraten fühlst! Mit 20 Jahren schon 0,3 Visus, das ist früh. Wie kam dies denn zustande? Ja, Anfang 50 „erwischt“ es viele von uns hochgradig Kurzsichtigen. Das fordert viel Stärke von uns. Ich sende liebe Grüße, schön, dass du in der FB Gruppe bist! Herzlich, Anne
Es müsste heutzutage noch mehr aufgeklärt und berichtet werden! Klar möchte man einerseits den Patienten, oder den Eltern bei Kindern, keine Angst machen wenn man von Den Spätfolgen der hohen Myopie erzählt, aber es gibt nichts Schlimmeres als Unwissenheit! Lieber ist man darauf vorbereitet und kann im Vorfeld was tun, was Sehhilfen, Berufswahl oder etc betrifft. Aber es gibt auch viele Ärzte die nicht genug wissen.
Liebe Daniela, du hast so recht: Die Balance zwischen Angsteinjagen und gut Informieren, die ist sicher nicht einfach und erfordert Kommunikationsgeschick. Ich selbst merke: Je besser ich informiert bin, je mehr nehme ich mein eigenes Leben in die Hand. Dann können wir eigene Entscheidungen treffen, sind keine Opfer. Hast du das so gemeint?
Ja genau so meinte ich es, es ist nötig genug Informationen zu bekommen, nur so ist man wenigstens vorbereitet und kann dementsprechend was tun.
Immer mehr Menschen werden Kurzsichtig. In Asien gibt es seit einiger Zeit eine hohe Myopie-Epidemie. Europa folgt mit einigen Jahren Verzögerung. Eine hohe Myopie kann jedoch mit einer Brille oder mit Linsen gelöst werden. Es gibt kein akutes medizinisches Problem. Erst später wird die hohe Myopie Person ernsthafte Symptome bekommen. Bei diesen Beschwerden fallen Sie häufig in eine andere Kategorie, z. B. Netzhautablösung, Makuladegeneration, Glaukom, Katarakt, und ein Augenarzt kann möglicherweise etwas dagegen tun. Sie zählen dann in der Kategorie „Andere“ und die Verbindung mit hoher Myopie verschwindet im Hintergrund. In jüngerer Zeit hat eine Reihe von Studien zu hoher Myopie und all diesen möglichen Komplikationen begonnen. Und erst jetzt ist klar, dass aufgrund dieser hohen Myopie ein wirklich hohes Risiko für Komplikationen und Sehstörungen besteht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete (nur) im Jahr 2017 über die zunehmende Epidemie mit hoher Myopie und die daraus resultierenden globalen Folgen der Zahl der sehbehinderten und blinden Menschen.
Und das ist meine eigene Geschichte: kein Augenarzt hat mir von Risiken erzählt. Bis jetzt. Das einzige, was ich kürzlich gehört habe, ist, dass mein Augenarzt seinem Studentenarzt sagte, „Sie werden in Zukunft viel mehr von dieser Patienten sehen“!
Danke für deine Geschichte. Ja, wir hören oft erst etwas darüber, wenn wir schon mittendrin sind…Gut, wenn dein Augenarzt junge Ärzte darauf aufmerksam macht!
Danke für deinen Kommentar! Ja, das erlebe ich auch als ein Problem: Das sehr häufig der Zusammenhang zwischen der Folgeerkrankung und hoher Myopie nicht gesehen wird. Mit Folgen für Diagnosen und Behandlungen unter Umständen. (Meintest du das so?) Je mehr Ärzte Bescheid wissen, je besser für uns!