„Schau doch auf das, was noch möglich ist.“
Da ist er wieder dieser Satz. Den gibt es auch noch im Angebot mit kleinen Abwandlungen wie zum Beispiel: „was doch noch geht“ oder „was es Schönes in deinem Leben gibt“.

Das scheint so ein bisschen die Standardantwort zu sein, wenn eine*r erzählt, dass etwas nicht mehr geht, weil der Körper andere Pläne hat. Eine typische Antwort ist dann zum Beispiel: „Oh. Aber du kannst doch noch so viel. Schau doch danach, was doch noch möglich ist.“ Flappsig will ich dann sagen: „Echt jetzt?“. Wegen dieses Satzes an falscher Stelle habe ich schon eine Therapie abgebrochen.

Vielleicht schaust du gerade ungläubig und denkst: Was soll falsch sein an diesem Satz? Der ist doch positiv und strahlt Zuversicht aus. Ausserdem lese ich den doch überall als guten Tipp für ein erfülltes Leben.

Verstehe mich nicht falsch: Die Idee an sich ist gut und kann dir genau die neue Perspektive aufzeigen, die dir Hoffnung gibt und Zuversicht für deine Zukunft. – wenn die Voraussetzungen stimmen.

Vergiss nicht: Du trauerst – zu Recht!

Du weißt: Du hörst diesen Satz nicht, weil eine Kleinigkeit schief gegangen ist oder es deine Lieblingshose nicht in deiner Größe gibt.

Du hast so Vieles verloren, was dir selbstverständlich schien bisher. Vielleicht hast du jetzt sehr viel weniger Energie zur Verfügung – mit Einfluss auf Alles, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Und damit kommt eine ganze Palette weiterer Verluste. Deine Gegenwart ist verändert und deine Ideen für deine Zukunft auch. Auch deine Ideen über dich selbst sind mit einem Fragezeichen gesehen: Wer bist du jetzt? Wer bist du in dieser Gesellschaft?

Jeden Tag konfrontiert dich dein Körper mit dem was war und nicht mehr sein kann. Vielleicht kannst du heute etwas nicht, was noch gestern einfach zu dir gehörte. Oder dein Körper sagt dir kontinuierlich: Tut mir leid, meine Liebe, mein Lieber, so geht das nicht zusammen.

Wenn du Verantwortung für dein Leben übernommen hast, bist du vermutlich bestens informiert. Machst alles, was in deiner Möglichkeit steht, um dein Leben neu zu gestalten. Du suchst nach Wegen, dir eine stabile innere Basis zu schaffen. für diese so neue Lebenssituation. Du kümmerst dich um Körper und Seele.

Gerade, wenn du dies alles tust, dann weißt du ganz genau: Es bleibt traurig. Es bleiben Verluste, die einschneidend dein Leben verändern.

  • Fakt ist: Wenn du etwas verlierst, was dir enorm wichtig ist, ist dies traurig. Du hast so gute Gründe, um zu trauern, um so Vieles, was nicht mehr ist und nicht mehr sein kann. Völlig unabhängig von dem, was natürlich trotzdem noch sein kann. Das eine schließt das andere ja nicht aus! Im Gegenteil.
  • Fakt ist: Traurigkeit ist kein negatives Gefühl, sondern einfach ein Gefühl. Sogar ein natürliches und wertvolles. Eines, dass dich darauf hinweist, dass du etwas zu betrauern hast.
  • Fakt ist: Jedes Gefühl, dass du unterdrückst, gärt unterschwellig weiter und wird größer und nicht kleiner.

Wenn dir der Satz „schau doch auf das, was noch möglich ist“ den Raum nimmt, um zu trauern, dann ist er toxisch und steht dir und deiner zuversichtlichen Zukunft im Weg!

Anne Niesen – sehheldin

Dieser Satz hat nichts mit dir zu tun!

„Schau doch auf das, was noch möglich ist.“
Wenn du wütend oder traurig wirst, wenn du diesen Satz hörst, dann hast du Recht. Deine Gefühle sagen dir: Das ist übergriffig. Das hilft mir jetzt nichts. Das ist aus Versehen unverschämt. Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt.

Achte einmal drauf: Meist hörst du diesen Satz, wenn du so gerne erzählen möchtest, dass du traurig bist oder wütend oder dich hilflos fühlst. „Ach, du kannst doch noch so viel. Schau doch auf das, was noch möglich ist.“ fühlt sich für dich zu Recht an wie: Deine Gefühle tun hier nichts zur Sache. Setze dich darüber hinweg.

Toxische Positivität nenne ich das.

Aber weißt du was?
Dieser Satz sagt dir vor Allem etwas aus über dein Gegenüber:
Dieser Mensch kann deine Traurigkeit nicht gut aushalten und will, dass es dir einfach gut geht. Dieser Mensch fühlt sich hilflos und reagiert mit einer Phrase. Vielleicht will er oder sie auch den eigenen Schmerz ignorieren. Es einfach nett haben. Vielleicht hat er oder sie nie gelernt, dass alle Gefühle zum Leben gehören. Vielleicht belegt er/sie alle Gefühle, die nicht fröhlich sind mit dem Label „negativ.“

Was es auch ist: Wie so oft in der Kommunikation sagt diese Aussage mehr über dein Gegenüber als über dich.

Was mir hilft (und vielleicht auch für dich was ist)

Ich denke „und“:

Du darfst traurig sein oder sauer und du siehst bewusst deine Möglichkeiten.

Konkrete Beispiele aus meiner letzten Woche:
„Ich genieße es, in diesem schönen Cafe zu sitzen und auf den Fluss zu schauen und ich bin ziemlich erschüttert, dass ich jetzt das WC nur noch durch Tasten finden konnte auf dem dunklen Gang.“

„Es ist richtig schön, hier durch die Straßen von Amsterdam zu wandern, mich inspirieren zu lassen, Neues kennenzulernen und ich bin traurig, dass es so überdeutlich wird, wie schnell meine Energien jetzt aufgebraucht sind und dass ich so viele Stunden auf dem Zimmer verbringen muss.“

Mir gibt diese Methode Seelenfrieden. (Ich habe sie noch nirgends anders gelesen, vielleicht habe ich sie tatsächlich erfunden?)

Weil ich mich sehe, mit Allem, was da ist. Kein erzwungener Optimismus, der Gefühle übertüncht und wegdrückt. Mein Verlustschmerz, meine Trauer, mein Entsetzen dürfen sein und meine Zuversicht, mein Optimismus, meine Lebensfreude.

Wichtig: Ich erlaube mir auch, „nur“ traurig zu sein


Auch das „und“ kann ein neuer Zwang sein und ein Zeichen dafür, dass ich (wir) uns nicht erlauben, zu fühlen, was so natürlich und heilsam ist.
Ich übe schon seit zwei Jahren, dass ich einfach traurig sein „darf“. Ohne Stimmen, die sagen: „Stell dich nicht an.“ oder „sei nicht undankbar.“ oder eben „jetzt schau gefälligst auch auf das, was doch geht.“

Mir fiel das unendlich schwer und wenn ich ehrlich bin, jetzt auch noch oft. Der innere Stimmenchor, der sich aus Erziehung speist und aus Vielem, was wir aufnehmen aus unserem Umfeld, ist laut, sehr laut.

Übung macht auch hier die Meisterin. Und: Du musst es nicht zur Meisterschaft bringen, Gesell*in ist auch prima. Denn sonst hättest du dir ja einen neuen Anspruch kreiert, oder?

Was ich dir unbedingt auch noch sagen möchte:

Vertraue dir! (mehr als den Stimmen)

Wenn du grundsätzlich ein lebensfroher Mensch bist, dann weißt du: Du lässt dich gerade nicht ins Negative fallen. Du übertreibst nicht. Du lässt dich nicht hängen. Im Gegenteil: Du spürst, was dir gerade gut tut. Was sich heilsam anfühlt oder eben einfach gerade nicht anders möglich ist. Du bist klug und achtsam.

Du bist traurig, vielleicht sogar mal verzweifelt. Und da hast du verdammt nochmal allen Grund zu.

Wenn du ein lebensbejahender Mensch bist, dann weißt du: Du wirst dann wieder mit Freuden deine Möglichkeiten sehen und ergründen, wenn dein Herz bereit dazu ist. Denn wir Sehheld*innen gestalten unser Leben und sind selbstbewusst-Handelnde.

Anne Niesen / SEHHELDIN

Wie so oft: Du entscheidest!

Du entscheidest, wann du dir sagst: Ich möchte jetzt intensiv auch nach dem schauen, was möglich ist. Was gut ist. Was mir Lebensfreude gibt. Was mein neues Leben ausmacht. Und ab und zu bin ich traurig. Oder wütend oder verzweifelt. Und das ist gut so.

Und ich? Ich werde jetzt nicht mehr oder nur noch kurz wütend, wenn mich diese Phrase trifft und denke: Nicht mein Thema, das gehört zu dir. Und denke mein „und“ oder auch mal nicht. Meine Entscheidung. Deine auch.


Auch als erfahrener Coach gehe ich diesen wirklich nicht einfachen Weg nicht alleine, sondern lasse mich begleiten. Du willst dir auch einfacher machen, was schwer ist? Dann bin ich von Herzen gerne deine Wegbegleitung. Schreibe mir eine Email.

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